Am 28.04.2020 spricht GitarreKonkret mit Christiane Anderle, Gitarristin und Musikschulleiterin aus Hessen, über ihre Situation während der Corona-Pandemie.
Seit 23 Jahren leitet Christiane Anderle „Ihre Musikschule“ im beschaulichen Hungen; eine private Einrichtung mit 13 Lehrkräften und knapp 200 Schüler*innen an zwei Standorten. Gleichzeitig agiert sie als Musiklehrerin und unterrichtet neben der Gitarre, ihrem Hauptinstrument, auch Cello und Ukulele.
Auch für Christiane Anderle wurde am 16. März 2020 die Welt auf den Kopf gestellt, als durch die Corona-Pandemie die Musikschulen geschlossen wurden. Dass einige ihrer Lehrkräfte auch in großen Musikschulen tätig sind, war für Anderle in dieser Situation ein großes Glück. Mit einer Instrumentallehrkraft suchte sie direkt das Gespräch. Er erzählte, dass die Musikschule in der Kreisstadt Instrumentalunterricht in Form von Einzel- oder Zweierunterricht über Skype oder Facetime anbieten würde. Für Anderle erst einmal eine Hürde, doch der Kollege bot Hilfe bei der Installation der entsprechenden Programme an. Noch am Wochenende vor Beginn der Einschränkungen informierte sie ihre Kolleg*innen über die Optionen: Unterricht per Skype – oder Ausfall der Stunden. Alle Kolleg*innen zogen beim Experiment „digitaler Musikunterricht“ mit. Das Wochenende wurde zum Austausch, aber auch zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung genutzt. Wie sich hinsetzen und die Kamera ausrichten, so dass der Gegenüber das Instrument ideal sehen kann? Die Klavierlehrerin etwa, so Anderle, baute sich eine Vorrichtung, damit die Schüler*innen ihr durch die Kamera über die Schulter auf die Finger schauen konnten. Am Montag den 16.03.2020, an dem die Lehrkräfte eigentlich noch einmal hätten in die Musikschule gehen können, wurde bereits über Skype unterrichtet. Jede Lehrkraft hatte sich da bereits eigenständig um die Kontaktaufnahme zu den Schüler*innen gekümmert.
Dass die Umstellung recht problemlos über die Bühne gegangen sei, hätte an den Unterrichtsstrukturen gelegen. „Wir haben den Vorteil, dass wir nur Einzelunterricht beziehungsweise nur wenige Zweiergruppen haben. Nur unser Bandunterricht muss ruhen und auch die Kurse der musikalischen Früherziehung können wir aktuell nicht durchführen.“
Seit April wurden für die Band und die Früherziehung keine Unterrichtsgebühren mehr gefordert. Die entsprechenden Honorarlehrkräfte erhalten dementsprechend auch kein Geld mehr. Das tut Christiane Anderle weh: „Als kleine Musikschule habe ich finanziell nicht die Rücklagen, dass ich Honorare auszahlen kann, ohne in Gegenleistung Unterrichtsgebühren einzufordern. Auch mache ich mich strafbar, wenn ich Honorarkräften ohne erbrachte Leistungen Geld bezahle. Das geht leider nicht und das tut mir sehr leid.“ Vielleicht, so hofft sie, ist am Ende des Geschäftsjahres eine Sondergratifikation für die betroffenen Lehrkräfte möglich.
Zu Beginn des digitalen Unterrichts hat sich Christiane Anderle manchmal wieder wie eine Berufsanfängerin gefühlt. „Der Unterricht sei anders.“ Zu viel hätte sie am Anfang in die Stunde packen wollen. Vieles funktioniere nicht mehr wie im üblichen Instrumentalunterricht, das Zusammenspiel etwa, weil Sprache und Musik bisweilen verzögert übertragen werden. An Stelle des praktischen Vorspielens ist deshalb nun oft Reden und Erklären getreten. Auch die Spontaneität sei jetzt eingeschränkt, jede Unterrichtsstunde mit deutlich mehr Vorbereitung verbunden. Sie muss vorher gut einschätzen, welche Stücke für die Schüler*innen geeignet sind – und sich dann auch darauf verlassen, dass sie das Material zur Stunde ausgedruckt vorliegen haben. Die erste Woche Skype-Unterricht sei schwierig gewesen, mittlerweile ist Anderle aber gelassener. Auch, weil sie so viel positive Resonanz erhält. Von den Eltern, aber auch von den Schüler*innen selbst. Sie seien allesamt konzentriert bei der Sache und würden intensiv mitarbeiten. Anderle ist sich bewusst, dass der Instrumentalunterricht für viele die einzige Konstante und ein Stück Normalität sind, während die Schule und der Kontakt zu Gleichaltrigen wegfallen. Deshalb hat sie auch bewusst nichts an ihrem Stundenplan geändert.
Was die Situation mit dem Team gemacht hätte? Man hätte nicht zusammenrücken müssen, so Anderle, weil es schon vor der Krise ein Team war, das eng zusammenstand. „Die enge Zusammenarbeit und Kollegialität haben sich in dieser Situation bewährt.“ Es seien die Früchte der steten Beziehungspflege, die sie nun ernten würden. Mit den Lehrkräften ist sie im ständigen Austausch. Der persönliche Kontakt, wie er in der Musikschule gepflegt wird, fehle ihr allerdings sehr. Stolz sei sie auf das ganze Team.
Ihr Fazit nach mehreren Wochen Digitalunterricht: Normalität wird es nicht, aber man gewöhnt sich an die Situation. Für sie steht die sinnvolle Gestaltung des Unterrichts im Vordergrund und sie will das Beste daraus machen und manches auch für später mitnehmen. Für die Zukunft weiß sie, dass ihre Musikschule auf eine solche Situation nun besser vorbereitet ist: „So schnell haut uns nichts mehr um.“ Skype könne in gewissen Situationen durchaus auch in Zukunft eine Rolle spielen, in der Erkältungssaison beispielsweise.
Trotz ihrer positiven Haltung ist Christiane Anderle auch etwas mulmig zu mute. Zwar kann sie aktuell durch den Skype-Unterricht Gebühren einfordern und Honorare auszahlen und somit einen Ausfall vermeiden – „jetzt ist die Situation noch nicht existenzbedrohend, aber das wird kommen.“ Sie fürchtet, dass die Wirtschaftslage aktuelle Kund*innen zur Kündigung des Musikunterrichts zwingen wird und Neuanmeldungen wegbleiben. Bereits durch die ausbleibende musikalische Früherziehung verliert sie viele potenzielle Instrumentalschüler*innen.
Nur eine Woche nach dem Gespräch entspannte sich die Situation für die Musikschulen in Hessen und Präsenzunterricht in den Einrichtungen wurde wieder möglich. Zur Feier hat Anderle erst eine Flasche Sekt geöffnet und dann den bereits skizzierten Hygieneplan konkretisiert.
Fast aller Unterricht findet nun wieder in der Musikschule statt, nur die Band muss noch pausieren. Die Möglichkeit des Online-Unterrichts besteht nach wie vor – bislang hat aber niemand davon Gebrauch gemacht.