Frage:
Mein Lehrer möchte, dass ich Tonleitern, Akkordzerlegungen, Bindetechnik usw. übe. Mich langweilt das aber. Ich möchte lieber Musik machen. Wozu sind die technischen Übungen gut? Kann man nicht auch alles an Stücken lernen?
Antwort:
Schon seit Urzeiten gibt es diesen Zwist zwischen den “Technikfetischist*innen” und den “Antitechniker*innen”, der in deiner Frage zum Ausdruck kommt. Das ist eigentlich unverständlich wenn man bedenkt, dass eine rein technische Interpretation sicher genauso unerfreulich ist wie ein musikalisch ausdrucksstarker Vortrag, der ständig durch spieltechnische Mängel überschattet wird.
Im Idealfall hat eine technische Übung einen direkten Zusammenhang zu einem musikalischen Inhalt. Natürlich kann man sehr viel an Stücken lernen. Manchmal ist es aber besser, von dem Musikstück wegzugehen um eine schwierige Passage in den Griff zu bekommen. Jede*r hat schon einmal den Effekt erlebt eine Stelle durch zu häufiges Wiederholen sozusagen “kaputtgeübt” zu haben. In diesem Fall ist es besser, das eigentliche spieltechnische Problem herauszufiltern und daraus eine entsprechende Übung abzuleiten. Nach einiger Zeit des Trainings kann man dann relativ unbefangen wieder an das Stück herangehen.
Wie aus dem Sport bekannt ist, bilden sich Muskeln bei mangelndem Training zurück. Da das Gitarrespielen unbestreitbar mit einer physischen Leistung verbunden ist, ist auch ein tägliches Grundtraining durchaus als sinnvoll zu betrachten.
Dabei sollten die technischen Übungen mit musikalischen Gestaltungsübungen verbunden werden. So kann man Akkordzerlegungsübungen mit Klangfarben- bzw. Registerwechseln kombinieren, Tonleitern mit dynamischen Entwicklungen und Abschattierungen verknüpfen, verschiedene Artikulationen und Betonungen verwenden usw. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Selbstverständlich ist es nicht zu schaffen, jeden Tag alle Spieltechniken im Trainingsprogramm zu berücksichtigen. Deshalb sollte man die Inhalte täglich rotieren lassen. Jede Übung sollte dabei einen festen zeitlichen Rahmen haben. Es bringt wenig, zwei Stunden lang Tonleitern zu üben. Zehn Minuten täglich über einen längeren Zeitraum sind sehr viel förderlicher.
Auch das Spielen von Etüden ist zur Abrundung der technischen Grundfertigkeiten sehr geeignet, da in diesen Stücken ein spieltechnischer Aspekt mit musikalischen Inhalten verknüpft wird.
Ohne intensiven Ausdruck entsteht kein lebendiger musikalischer Vortrag, ohne die nötigen technischen Grundlagen wird man aber immer wieder durch spieltechnische Hürden im eigenen musikalischen Ausdruck behindert werden.