Was wären wir Musiker ohne die Komponisten, die unermüdlich neues Spielmaterial für die Konzertbühne und den Unterricht erschaffen? Nur selten wird ihnen eine ähnliche Aufmerksamkeit entgegengebracht wie den Interpreten, die sich Ihrer Werke bedienen. In diesem Interview geht es ausnahmsweise einmal um einen Komponisten der insbesondere für den Gitarrenunterricht viele neue und ansprechende Werke geschrieben hat. Walter Theisinger schildert hier u.a. seine vielfältige Tätigkeit und seinen eher unüblichen weg zum Berufsmusiker.
Das Interview führte Christian Moritz.
Christian Moritz: Im Alter von neun Jahren bist Du nach Deutschland gekommen, hast Du da schon Gitarre gespielt?
Walter Theisinger: Nein, damals habe ich noch mehr schlecht als recht Akkordeon gespielt. So mit vierzehn haben die Beatles angefangen für mich eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Außerdem hatte ich einen tollen Musiklehrer an der Schule, der in jede Stunde seine Gitarre mitbrachte und die ganze Klasse beim Singen begleitete. All dies hat in mir dann auch den Wunsch geweckt selbst Gitarre zu spielen. Und es war wohl zu Weihnachten, als ich fünfzehn war, als ich solch ein Instrument geschenkt bekam.
C.M.: Wann wurde Dir bewusst, dass Du Berufsmusiker werden möchtest?
W.T.: Dazu musste ich erst einen ganz anderen Weg gehen, um festzustellen, dass dieser nicht der richtige für mich war. Zunächst hatte ich eine Lehre als Energieanlagenelektroniker absolviert und auch noch ein Jahr in diesem Beruf gearbeitet. Gleichzeitig war es auch die Zeit, als ich mit Schulfreunden eine Band gründete und wir herzhaften Rock´n Roll, Blues usw. spielten . Das war natürlich eine ganz besondere Zeit in meinem Leben und mir wurde immer mehr klar, dass ich etwas mit Musik machen musste, da mich mein Beruf immer weniger ausfüllte.
C.M.: Dein Studium hast Du in Nürnberg absolviert. Was waren dabei die nachhaltigsten Erfahrungen?
W.T.: Das Ziel, Musik zu studieren, war erstmals gar nicht so einfach für mich zu erreichen. Ich war ja bislang nur Autodidakt was das Gitarrenspiel anging, also eine Aufnahmeprüfung an einem Konservatorium zu bestehen, war absolut nicht drin. So habe ich mich auf den Weg zum Arbeitsamt gemacht und mir Infos geholt über Musikberufe. Unter anderem erfuhr ich von der Berufsfachschule für Musik in Plattling. Dieser Schultyp war zu der Zeit noch recht neu in Bayern, inzwischen hat jeder Regierungsbezirk Bayerns solch eine Berufsfachschule. An dieser Schule musste ich auch eine Aufnahmeprüfung machen, diese war aber wesentlich einfacher. Ich war sehr glücklich, als ich dort genommen wurde, und ich konnte mich ab diesem Zeitpunkt voll der Musik widmen. Mein Gitarrenlehrer (Dieter Witzke), hatte nun die schwere Aufgabe, mich in zwei Jahren für die Aufnahmeprüfung in Nürnberg fit zumachen. Ja, es ist ihm gelungen. Inzwischen sind wir dort an der Schule Kollegen. 1983 begann ich in Nürnberg mein Gitarrenstudium. Die nachhaltigsten Erfahrungen waren die, dass ich feststellte, wie umfangreich ein Musikstudium ist. Es gab immer wieder neue musikalische Bereiche außerhalb der Gitarre zu entdecken, die mir genauso wichtig wurden, wie die Gitarre selbst.
C.M.: Gibt es Komponistenpersönlichkeiten die für Dich eine Vorbildfunktion haben?
W.T.: Da ich einen wichtigen Zeitabschnitt meines Lebens mit der Pop-Rock-Musik der 70er Jahre verbracht habe, schätze ich nach wie vor Paul McCartney sehr. Sein ganzes Lebenswerk, seine unerschöpfliche Energie und sein Einfallsreichtum was Melodien und harmonische Sequenzen angeht, finde ich genial. Genauso kann ich mich aber auch für die Brahmssinfonien oder Ravels Klavierkonzert G-Dur begeistern. Aber ein so richtiges Vorbild, so glaube ich, habe ich nicht. Es gibt sehr sehr viele Musiker und Musiken aus den verschiedensten Epochen und Genres, die mich beeindrucken und irgendwie wahrscheinlich auch unterbewusst inspirieren.
C.M.: Hast Du Kontakt zu anderen Komponisten, gibt es da eine Szene in der man sich untereinander austauscht?
W.T.: Es gibt in der Nähe von Köln, in Siegburg, den Komponistensalon. Der findet so, glaube ich, einmal im Jahr statt. Da treffen sich junge Komponisten, man hat die Möglichkeit sich gegenseitig auszutauschen und seine Kompositionen vorzustellen. Oft sind dort auch noch Dozenten von der Hochschule Köln anwesend, die einem noch Tipps geben usw. Das ganze wird organisiert von der Engelbert-Humperdinck-Gesellschaft Siegburg. Das ist wirklich eine tolle Sache. Außerdem wird jedes Jahr ein Kompositionswettbewerb ausgeschrieben. Dann kenne ich Gerald Nienaber sehr gut, der ja auch auf Deiner Seite vertreten ist. Wir waren früher Kollegen an der Musikschule in Kulmbach.
C.M.: Beschränkst Du Dich in Deinem kompositorischen Schaffen ausschließlich auf Literatur für den Gitarrenunterricht?
W.T.: Inzwischen nicht nur. Zur Zeit arbeite ich an einer Filmmusik für einen Kurzfilm. Dieser Film wurde von einem Studenten der Filmhochschule Potsdam/Babelsberg gedreht. Eine junge Autorin schrieb das Drehbuch dazu. Das ist eine sehr schöne Arbeit, die mir sehr viel Spaß macht. Zu beobachten, wie der visuelle Teil mit dem akustischen Part zur Einheit wird, ist sehr spannend. Man hat hier auch die Möglichkeit sich auf einem größeren musikalischen Gebiet zu betätigen. So kommen hier nicht nur Gitarrenklänge zum Einsatz sondern auch Klavier, Streicher oder Bläser (wenn auch nur vom Synthesizer)
C.M.: Dein Kompositionsstil wird oft als melodisch eingängig bezeichnet. Die NMZ lobte Deine Stücke und charakterisierte sie als “Folkige Popmusik mit leichtem Impressionismus-Touch”. Mit komponierenden Gitarristen wie David Qualey oder der sehr populären Maria Linnemann wirst Du in einem Atemzug genannt. Wie würdest Du selbst Deine Musik beschreiben?
W.T.: Es ist eine große Ehre für mich mit diesen Namen erwähnt zu werden. Stücke von Maria Linnemann begegneten mir zum ersten Mal, als ich noch Schüler an der Berufsfachschule f. Musik in Plattling war. Damals gab es erst ein Heft von ihr, das in England erschienen ist, mit durchweg anspruchsvollen Stücken. Als ich diese Stücke zum ersten Mal hörte, war für mich klar, das ist es! Sie hatte damals mit ihrer Musik genau meinen Nerv getroffen. Es waren Klänge dabei, die mir vom Jazz oder von der popularen Ebene sehr vertraut waren, verbunden mit sensibler Melodieführung usw. Ich hatte dann auch viel Gelegenheit ihre Stücke zu spielen und lernte sie kurz darauf auch selbst kennen. Für mich sind viele Stücke von ihr meine private Filmmusik, denn ihre Musik und auch ihre Interpretation weckt in mir vielfältige Bilder. Ja, viele meiner Sachen sind sehr eingängig. Wenn ich zum Beispiel an das Stück „Martellato“ aus der Suite „Echoes from the past“ denke, so habe ich versucht, hier bewusst einige Kanten und Ecken stehen zu lassen, wobei dennoch eine gewisse Eingängigkeit vorhanden ist, wie ich finde. Ich glaube, dies ist der Bereich, wo man selbst immer wieder dazu lernt, auch mal bewusst versucht über seinen Schatten zu springen und vielleicht mal mit etwas provokanteren Klängen, Rhythmen etc. experimentiert. Meine Musik selbst zu beschreiben fällt mir nicht leicht, ich glaube, dass auf jeden Fall das musikalische Erbe aus den Sechzigern und Siebzigern, was Harmonie und Melodie angeht, eine wichtige Rolle spielt, wenn vielleicht auch völlig unterbewusst.
C.M.: Sind Deine Stücke eher didaktisch geprägt, schreibst Du Deinen Schülern die Stücke sozusagen auf den Leib oder steht die musikalische Idee grundsätzlich im Vordergrund?
W.T.: Zunächst ist schon die musikalische Idee im Vordergrund. Wobei ich immer bemüht bin, dass alles reproduzierbar sein sollte. Ich denke auch, dass hier die Herausforderung liegt, Musik zu schreiben, die gut klingt aber dennoch nicht zu schwer ist. Dass dies möglich sein kann , beweist uns Maria Linnemann auf vielfältige Weise immer wieder.
C.M.: Als Gitarrenlehrer bist Du vielfältig tätig. Wie wichtig ist Dir diese Tätigkeit?
W.T.: Diese Tätigkeit ist eigentlich meine Haupttätigkeit. Ich sehe mich nicht als „der Komponist oder der Gitarrist“. Mein Schwerpunkt ist schon das Unterrichten. Da ich an drei verschiedenen Stellen arbeite mit verschiedenen Schwerpunkten, habe ich auch die Möglichkeit musiktheoretische Fächer wie Gitarrenmethodik oder Didaktik zu unterrichten, was für mich die Arbeit sehr abwechslungsreich macht. Das Komponieren ist schon fast ein bisschen Luxus, den ich mir selbst gönne und nicht mehr missen möchte, da ich oft nicht anders kann.
C.M.: Du unterrichtest auch E-Gitarre. Ist das ein Zugeständnis an die entsprechende Nachfrage?
W.T.: Nein, würde ich nicht sagen, denn meine erste intensivste musikalische Auseinandersetzung mit der Gitarre war auch die E-Gitarre. Ich habe aber leider noch nicht das optimale Lehrwerk für E-Gitarre gefunden und bin ständig auf der Suche nach Anregungen in diesem weiten Bereich, besonders auch für jüngere Schüler. Vielleicht wäre dieses Thema als Austausch bei den GitarreHamburg.de-Seiten von Interesse?
C.M.: 1999 warst Du Preisträger bei einem bundesweit ausgeschriebenen Kompositionswettbewerb in Siegburg. Was bedeutet Dir solch ein Preis?
W.T.: Dieser Preis bedeutet für mich Anerkennung für einen bestimmten Bereich meines musikalischen Schaffens, über die ich mich sehr gefreut habe. Auch freue ich mich in diesem Zusammenhang, durch den oben bereits erwähnten Komponistensalon, viele nette und interessante Leute kennen gelernt zu haben.
C.M.: Macht es Dich stolz, wenn Stücke von Dir in die Auswahlliste des Deutschen Orchesterwettbewerbs aufgenommen oder auf Klassik Radio gespielt werden?
W.T.: Das ist eine schöne Sache und eine Bestätigung zu gleich.
C.M.: Wie bist Du eigentlich zum Komponieren gekommen, gab es da methodische Gründe – z.B. das Fehlen von zeitgemäßer Unterrichtsliteratur – oder entspringt Deine Motivation ausschließlich einem inneren Ausdruckswillen?
W.T.: Es ist schon ein innerer Drang nicht nur Musik zu reproduzieren, sondern selbst seine Gefühle usw. in eigener Musik zu verarbeiten und vorzulegen. So sind bereits recht früh musikalische Fragmente entstanden, die aber noch weit von einer fertigen Komposition entfernt sind. Diese existieren aber und manchmal passiert es durchaus, dass ich ein solches Fragment, das vielleicht schon 18 Jahre oder älter sein kann, bei einer jetzigen Komposition mit verwende. Mein erstes Stück, das über den Zustand eines Fragmentes hinausgegangen ist, ist für mich der Titel „Flowers in the dawn“. Dieses Duo ist 1990 entstanden, kurze Zeit nach dem ich auf einem Seminar von Maria Linnemann war. So war es für mich klar, dass ich ihr dieses Stück widmen musste. Positives Feedback von Seiten der Schüler und all den Musikern und Medien – wofür ich mich hier ganz herzlich bedanken möchte – motivieren mich sehr in dieser Richtung weiterzumachen.
C.M.: Hast Du schon einmal erwägt ein Lehrwerk zu verfassen? Bei so viel musikalischem Output müsste es doch möglich sein, eine Gitarrenschule zu verfassen, die musikalisch über das übliche Volksliedrepertoire hinausgeht.
W.T.: Ich selbst habe daran noch nicht gedacht, wäre aber sehr gerne bereit, wenn es gewünscht wird, musikalisch hierbei mitzuwirken.
C.M.: Hinter dem Komponisten steckt auch der aktive Musiker Walter Theisinger. Was sind Deine momentanen musikalischen Projekte?
W.T.: Wie bereits erwähnt beschäftige ich mich momentan mit der Filmmusik zu dem Film „Augenblick“, zu dem Natalie Gutgesell das Drehbuch schrieb. Dann habe ich einige Gitarren – Duos aus dem Heft „Hand in Hand“ (Strube Verlag München) für Gitarre und Flöte bearbeitet. Hierbei standen mir der Gitarrist Andreas Wittmann und seine Frau, die Flötistin Katharina Wittmann von dem bekannten Duo „anaka“, zur Seite. Andreas und Katharina sind gerade dabei, die bearbeiteten Stücke und noch einige neue, die ich speziell für diese Besetzung geschrieben habe, einzuspielen, und wir hoffen, dass dieses Werk als Heft mit CD irgendwann beim Strube-Verlag erscheinen wird.
C.M.: Herzlichen Dank und viel Erfolg weiterhin!
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