Nur wenige klassische Gitarristen können einzig vom Konzertieren leben. Einer dieser seltenen Fälle ist der Stuttgarter Gitarrist Friedemann Wuttke. Nicht nur durch seine instrumentalen und musikalischen Qualitäten – die höchsten Ansprüchen genügen – hat sich der sympathische Musiker einen festen Platz in der vordersten Reihe der deutschen Gitarristik erspielt. Insbesondere sein Gespür für eine interessante Programmgestaltung und die fruchtbare Zusammenarbeit mit anderen namhaften Künstlern sorgen dafür, dass Friedemann Wuttke nicht unterbeschäftigt ist. Ein Musiker, der konsequent seinen Weg geht.
Das Interview führte Christian Moritz.
Christian Moritz: Kannst Du kurz Deinen bisherigen Werdegang skizzieren?
Friedemann Wuttke: Mein erster Kontakt mit der Klassischen Gitarre war im Alter von 15 Jahren. Nach meinem Abitur habe ich bei Mario Sicca und Ihsan Turnagoel an der Musikhochschule in Stuttgart studiert und zahlreiche Meisterkurse bei internationalen Gitarristen besucht. Dann kamen ein Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und zehn Jahre “Studienkreis Musik” und “Internationale Stuttgarter Gitarrentage”.
Seit 1992 widme ich mich ausschließlich meiner Konzerttätigkeit und der Produktion von Tonträgern. Es folgten Einladungen zu internationalen Musikfestivals sowie Rundfunk- und Fernsehproduktionen. Seit 1998 gehöre ich der Musikauswahl des Goetheinstituts an. Die Begegnungen mit dem damals 97-jährigen Joaquin Rodrigo in Madrid sowie meine Freundschaft mit dem bedeutenden russischen Pianisten und Dirigenten Igor Zhukov haben mich nachhaltig geprägt.
Konzertreisen mit unterschiedlichsten Musikern, Tourneen als Solist mit internationalen Orchestern und Gitarrenrezitale bilden den Schwerpunkt meiner Konzerttätigkeit.
C.M.: Gab es ein spezielles Erlebnis nach dem Du beschlossen hast klassischer Gitarrist zu werden?
F.W.: Ein spezielles Erlebnis gab es nicht, außer vielleicht das Prélude No. 1 von Heitor Villa-Lobos. Mit diesem Stück habe ich angefangen mich intensiver mit der Gitarre zu beschäftigen. Die Entscheidung Musik zu studieren kam zwangsläufig, denn ein anderes Studium hätte mir nicht genug Zeit für Musik gelassen, und so habe ich mich entschlossen Musik als Beruf zu wählen.
Wer mich allerdings immer tief beeindruckt hat bei seinen Konzerten war Julian Bream, der wie kein anderer das Innerste der Musik trifft und dies in seinen Konzerten zum Ausdruck bringt. Ich kann bis heute nicht verstehen, wenn jüngere Gitarristen und auch Kollegen aus meiner Generation behaupten, dass Julian Bream keine gute Technik besitzt. Ich möchte sogar behaupten, dass er die beste Technik besitzt, weil seine Musik so intensiv und spannend, so aufregend und schlüssig, so farbig und abwechslungsreich ist und weil er so nachhaltig beeindruckt wie kein anderer Gitarrist. Ganz zu schweigen von seinem umfangreichen Repertoire, welches er mit vielen wundervollen Einspielungen und auch in seinen Konzerten vorstellt.
C.M.: Dein Studium hast Du in Stuttgart absolviert. Wie wichtig war diese Zeit für Dich?
F.W.: In Stuttgart habe ich viel über Musik erfahren. Im Nachhinein hätte ich mir jedoch gewünscht mehr gefordert worden zu sein.
C.M.: Glaubst Du, dass das Studium in seiner jetzigen Form ausreicht, oder vermisst Du bestimmte Inhalte im traditionellen Fächerkanon?
F.W.: Man kann es nicht generell sagen, ob das Gitarrenstudium in der jetzigen Form ausreicht, da die Ausbildung vom jeweiligen Lehrer abhängt. Ich hole mir von Zeit zu Zeit Anregungen für mein eigenes Spiel und der Unterricht an den Hochschulen ist großartig und die „Newcomer“ sind top! Ich denke aber, dass die Gitarristen immer noch viel zu isoliert sind und zu wenig mit anderen Musikern zusammenarbeiten.
Ein einschneidendes Erlebnis war in diesem Zusammenhang für mich die erste Tournee mit dem Moskauer Kammerorchester unter der Leitung von Igor Zhukov, woraus eine schöne Künstlerfreundschaft entstanden ist. Die Zusammenarbeit mit ihm und seinem Orchester waren meine härtesten und bittersten Lektionen, aber auch mit die interessantesten, fruchtbarsten, intensivsten und schönsten Erlebnisse.
C.M.: In wiefern waren es harte und bittere Lektionen?
F.W.: Nun, mein Freund und Mentor Igor Zhukov hat mir einfach gezeigt, was es heißt professionell und spannend zu spielen. Ich habe bei meinem Studium eine Menge gelernt, aber eben nicht wie man Konzerte gibt.
C.M.: Du hast eine ganze Reihe von Meisterkursen besucht. Welcher Dozent hat dabei den nachhaltigsten Eindruck auf Dich hinterlassen?
F.W.: Ich finde, dass David Russell ein ganz großartiger Lehrer ist!
C.M.: Was zeichnet David Russels Unterricht in besonderem Maße aus?
F.W.: David Russell kann auf die Studenten persönlich eingehen und ist einfach ein angenehmer Mensch. Er gibt sich wirklich Mühe und stellt nie seine großartigen Fähigkeiten in den Vordergrund, sondern befasst sich ernsthaft und sympathisch mit den Schwächen und Stärken der aktiven Teilnehmer. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass in seinen Meisterkursen immer eine schöne und fruchtbare Atmosphäre entstanden ist.
C.M.: Warum hast Du Deinen Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und die von Dir aufgebauten “Stuttgarter Gitarrentage” zu Gunsten einer ausschließlichen Konzerttätigkeit aufgegeben?
F.W.: Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, “Studienkreis Musik” und “Internationale Stuttgarter Gitarrentage” habe ich zehn Jahre lang gemacht und versucht nebenbei noch Konzerte zu geben. Das war aber nicht wirklich möglich, denn mein Kopf war nie frei, um mich voll auf die Musik einlassen zu können. Die ganzen organisatorischen Aufgaben haben mich von dem Wesentlichen abgelenkt und immer mehr entfernt.
Ich wollte aber noch mal versuchen den Musiker Friedemann Wuttke zu Wort kommen zu lassen, denn das war ja mein eigentlicher Motor Musik zu studieren. So habe ich mich entschlossen Ballast abzuwerfen. Das war eine der wichtigsten Weichenstellungen in meinem Leben. Ich kann mich heute ganz auf meine Konzerte konzentrieren und wenn ich von einer Tournee zurückkomme, dann genieße ich es frei zu sein. Für mich sind Konzerte immer eine große Anstrengung und ich bin während einer Tournee unter großer Anspannung. Meine Programme laufen projektbezogen und so habe ich genügend Freiräume, um abzuschalten und neue Werke zu erarbeiten. Ich habe nicht einmal eine Handvoll Schüler, so dass ich nach einem Konzertblock ganz loslassen kann, was schön und notwendig ist. Ich unterrichte schon gerne und habe in den letzten beiden Jahren auch wieder Gitarrenworkshops gegeben.
C.M.: Kann man als klassischer Gitarrist in Deutschland denn existieren oder muss man sich nicht zwangsläufig eine Nebeneinnahmequelle erschließen?
F.W.: Wenn man genug anständig bezahlte Konzerte bekommt, dann kann man sehr gut von Konzerten leben. Aber dafür muss man eine Menge tun und es dauert sehr sehr lange bis man sich einigermaßen im Konzertleben etabliert hat. Aber es geht. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle auch bei meiner Konzertagentur Hampl/Körner bedanken, die besonders in schwierigen Zeiten zu mir gehalten hat, wofür ich sehr dankbar bin.
C.M.: Dein auf CD eingespieltes Repertoire ist sehr breit gefächert, hast Du trotzdem spezielle Vorlieben?
F.W.: Ich habe keine Vorlieben, wenngleich mich das typische Gitarrenrepertoire mit spanischer und südamerikanischer Musik am meisten begeistert.
Wichtiger ist aber, ob ich eine Affinität zu einem Werk entwickeln kann. Von zehn oder zwanzig Stücken, die ich mir erarbeite bleiben am Schluss eines oder zwei übrig, die ich dann im Konzert spiele. Ich möchte nur Musik spielen, der ich nahe kommen kann, deren Kern ich berühren kann, also Musik, die meine Seele berührt. So wie z. B. die “Sonata” von Ulrich Wedlich.
C.M.: Gerade diese Einspielung auf Deiner CD “Hommage” hat mich ganz besonders beeindruckt. Die hervorragende Komposition “Sonata” wurde von Ulrich Wedlich für Dich geschrieben. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
F.W.: Ulrich Wedlich ist selbst Gitarrist und wir haben zusammen studiert. Ich habe ihn 1994 gebeten mir eine Sonate zu schreiben. Es gab viele Anläufe, ich habe einiges verworfen und 1995 war das Werk fertig und alle waren zufrieden. Noch im selben Jahr habe ich die “Sonata” dann in Stuttgart uraufgeführt und auf CD aufgenommen und viel in Konzerten gespielt.
Ich mag das Stück sehr, denn es ist wie “Koyunbaba” von Carlo Domeniconi ein Werk, welches sich ganz gefühlvoll auf der Grenze zwischen U- und E-Musik bewegt.
Für mich muss es in jedem Werk Momente geben, die ich fühlen kann. Dann kann ich auch den Zuhörer erreichen. Das ist das Wichtigste und zugleich das Schwierigste. Manchmal gelingt es und manchmal nicht. Aber es muss möglich sein. Ich kann es nicht mit jedem Stück.
Julian Bream kann das! Und das ist auch, was ich an ihm so sehr bewundere. Egal was er spielt und egal aus welcher Epoche er musiziert, er schafft immer eine ganz eigene Welt und berührt die Musik zutiefst.
C.M.: Die Entscheidung, ein Stück ins Repertoire aufzunehmen wird bei Dir also in letzter Instanz ganz auf der emotionalen Ebene entschieden?
F.W.: Ja, ich entscheide mich für ein Stück, wenn ich das Gefühl habe, dass ich mit der Musik etwas ausdrücken kann und wenn ich etwas zu sagen habe. Das ist natürlich sehr subjektiv und kann ein Außenstehender auch anders sehen.
C.M.: Gibt es Repertoire, welches Du gänzlich ablehnst?
F.W.: Es gibt kein Repertoire, das ich ablehne. Ich spiele jedoch fast nie Bach, obwohl es großartige Musik ist. Aber ich fühle diese Werke nicht wirklich und ich kenne viele Kollegen, die das so viel besser machen. Das einzige Stück von Bach, an welchem ich arbeite, und das ich 2005 in meinen Soloprogrammen spiele, ist die Chaconne. Für mich ist es das genialste Solostück von Johann Sebastian Bach mit tiefen Emotionen und Stimmungen.
C.M.: Deine Begegnung mit Joaquin Rodrigo bezeichnest Du stets als einen Höhepunkt in Deinem Musikerleben. Wie kam es zu diesem Aufeinandertreffen?
F.W.: Für das Jahr 2001, also zum 100. Geburtstag von Joaquin Rodrigo, hatten meine Konzertagentur und ich eine ganze Reihe von Konzerten mit verschiedenen Orchestern geplant.
Cecilia Rodrigo hat mich daraufhin im Frühjahr 1998 nach Madrid eingeladen. Das Zusammentreffen mit Joaquin Rodrigo in seinem Haus in Madrid war spannend und interessant zugleich. Selbst in hohem Alter hatte er nichts von seinem Charisma verloren. Ich wurde von einer großen Musiker- und Komponistenpersönlichkeit empfangen. Bei meinem Eintreten saß Joaquin Rodrigo am Klavier und spielte den zweiten Satz aus dem “Concierto de Aranjuez”. Danach haben wir über seine Musik und die verschiedenen Interpretationen seiner Gitarrenkonzerte gesprochen. Es war eine eindrucksvolle Begegnung und es war erstaunlich wie frisch Joaquin Rodrigo mit 97 Jahren noch war.
C.M.: Deine Aufnahmen sind bei GRG Records erschienen. Wer oder was verbirgt sich hinter diesem Label?
F.W.: Das ist mein eigenes Label. Zuvor war ich bei Intercord und bei Amati. Ich hatte aber eigene Interessen und Ideen und so beschloss ich meine Produktionen selbst zu veröffentlichen. Dazu gehört auch ein informatives Booklet und die grafische Gestaltung, denn ich möchte mich auch mit den Texten und dem Outfit identifizieren können. Im Herbst werden alle meine Produktionen bei einem internationalen Label veröffentlicht, ebenso wie meine aktuelle CD “Guitar Favourites”.
C.M.: Auf welches Repertoire darf man sich bei “Guitar Favourites” freuen?
F.W.: “Guitar Favourites” wird eine CD mit einer Auswahl von berühmten Gitarrenstücken und ausgewählten Ausschnitten aus meinen vorliegenden Produktionen. Beim CD-Verkauf nach meinen Konzerten können sich die Hörer oft nur schwer entscheiden, was sie kaufen sollen. Auf dieser CD gibt es eine schöne Mischung. Also nicht gerade sehr konzeptionell, aber dafür hoffentlich eine kurzweilige Hör-CD.
C.M.: Was würdest Du als eine Stärke von Dir bezeichnen?
F.W.: Ohje, das müssen andere beurteilen. Ich bin nie wirklich mit mir zufrieden und deshalb fällt es mir sehr schwer meine Stärken zu beschreiben. Meine Schwächen könnte ich leichter darstellen, aber das möchte ich natürlich nicht tun.
C.M.: Gibt es für Dich eine übergeordnete Botschaft, die Du Deinen Hörern durch die Musik vermitteln möchtest?
F.W.: Es gibt keine Botschaften, die ich vermitteln möchte, denn das hat meist so etwas oberlehrerhaftes. In meinen Konzerten versuche ich Programme zu gestalten, die ein durchgängiges Konzept aufweisen, große Spannungsbögen enthalten, Höhepunkte haben, aber auch kurzweilig und abwechslungsreich sind. Wenn es mir dann gelingt die Hörer zu erreichen, Atmosphäre zu erzeugen oder gar ihre Seele zu berühren und mich selbst, trotz aller Anspannung, auch fallen zu lassen, dann bin ich glücklich.
Bei meinen CDs möchte ich auch Themen sehen und gleichzeitig Produktionen anbieten, die man durchhören kann. Ich bin kein Musiker, der es sich zur Aufgabe macht Gesamteinspielungen zu präsentieren, wenngleich ich großen Respekt vor solchen Projekten habe. Auf CDs finde ich es ganz besonders schwierig schöne musikalische Momente zu schaffen, obwohl ich das für das Entscheidende halte, aber man muss an dem vereinbarten Aufnahmetermin vor allem perfekt spielen. Heute ist schneidemäßig und klanglich so ziemlich alles möglich, trotzdem setze ich bei meinen Aufnahmen auf lange Takes und den natürlichen Raumklang. Erstens möchte ich mich wieder erkennen und eine Produktion sollte ehrlich sein und ein Konzert sollte nicht zu weit auseinander liegen.
C.M.: Du arbeitest auch mit Künstlern aus anderen Bereichen zusammen. So bist Du z.B. schon mit Schauspielern wie Udo Wachtveitl, oder mit Evelyn Hamann mit literarisch-musikalischen Programmen aufgetreten. Beeinflusst diese Kombination mit literarischen Inhalten Dein Spiel?
F.W.: Die Tournee mit Udo Wachtveitl war total witzig und es hat viel Spaß gemacht. Es ist ganz anders als ein Solokonzert, denn die Musik ist bei solchen Auftritten Untermalung, fast Nebensache und es ist sehr schwer intensiv zu spielen, denn kaum hat man sich auf die Musik eingelassen kommt auch schon wieder Text. Trotzdem habe ich diese Zusammenarbeit genossen, weil es immer interessant und spannend ist mit Künstlern anderer Genres zusammenzukommen. Bei unserem Programm „Die Nacht“ mit Udo Wachtveitl musste ich z. B. nach einem Text von Oskar Maria Graf einen bayerischen Ländler spielen. Als Schwabe! Udo hat darauf bestanden und es hat Spaß gemacht.
C.M.: Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
F.W.: Für die Zukunft wünsche ich mir Gesundheit.
C.M.: Die wünsche ich Dir auch. Vielen Dank!
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