Sein CD-Label stellt ihn als den “Deutschen Meister” vor, “wenn es um groovende Fingerstyle-Gitarren-Arrangements geht”. Von der Presse wird seine “atemberaubende Technik” und sein “Einfühlungsvermögen” gelobt. Die Neue Westfälische apostrophierte ihn sogar als einen “Zauberer an der Gitarre”.
Als Arrangeur hat er die so genannte orchestrale Spielweise kreiert, die er erfolgreich und eindrucksvoll in seinen beiden Gitarre & Gesangs-Duos einsetzt.
In diesem Interview geht es unter anderem um Nünnings musikalischen Projekte “To be Two” und die “Rainbow Sleeves”, seine erfolgreichen Lehrbücher, die Arbeit mit dem Gitarrensynthesizer und seine spezielle Herangehensweise an die Gitarre.
Das Interview führte Christian Moritz.
Christian Moritz: Du hast klassische Gitarre bis zur künstlerischen Reifeprüfung studiert. Spielt diese Musikrichtung in der Praxis für Dich überhaupt noch eine Rolle?
Eddie Nünning: Auch wenn meine Konzerte und Workshops mittlerweile mit klassischer Musik überhaupt nichts mehr zu tun haben, spielt die klassische Gitarrenmusik nach wie vor eine große Rolle für mich: nämlich einerseits in meiner täglichen Unterrichtspraxis (so arbeite ich z.B. gerade mit einem Schüler, der 2.Preisträger beim Bundeswettbewerb “Jugend musiziert” geworden ist, an den Mozart-Variationen von F. Sor). Und andererseits für mein persönliches tägliches Gitarrenspiel, da ich die Technik und das Feeling für diese Musik nicht verlieren möchte.
C. M.: Im Anschluss hast Du am Kontaktstudiengang Popularmusik der Hamburger Musikhochschule teilgenommen. Welche Impulse hat es hier für Dich gegeben?
E. N.: Besonders erfrischend fand ich die praxisorientierte Herangehensweise des Kurskonzeptes, die darauf abzielte, die Teilnehmer für den Alltag im Musikbusiness sowohl künstlerisch als auch in Bezug auf das geschäftliche Know-How fit zu machen: so gab es interessante Informationen über die GEMA, die GVL, das Steuerrecht und das Musikbusiness im Allgemeinen. Von Peter O´Mara, der uns Jazzgitarristen unterrichtete, habe ich extrem viel über das gründliche Ausloten von Akkordmöglichkeiten auf der Gitarre gelernt und der Tag in Peter Weihes Studio sowie seine Zaubereien in Bezug auf sämtliche Sounds der Gitarrengeschichte werden mir für immer unvergesslich bleiben.
C. M.: Mit der Sängerin Christiane Weber bildest Du seit 1996 das vielgelobte Duo “To be Two”. In der Presse wurdet ihr in einem Atemzug mit Duos wie Tuck & Patti genannt. Was hat Dich an dieser Besetzung gereizt?
E. N.: Spätestens seit dem ich 1988 die erste Tuck & Patti-CD gehört hatte, war mir klar, dass ein Gitarre-Gesangs-Duo für mich die Traumbesetzung ist: einerseits verkörpert weiblicher Gesang plus männliches Gitarrenspiel für mich sozusagen das Yin-Yang-Prinzip und andererseits bietet dieses Format geradezu ein ganzes Universum an Möglichkeiten für einen Gitarristen. Man setzt sich durch die Arrangements selbst ständig neue Herausforderungen und hat gegenüber Solo-Fingerstyle-Gitarristen den vermeintlichen Vorteil, dass man die Melodie in diese Arrangements nicht mit integrieren muss und hat dadurch erheblich erweiterte Möglichkeiten, eine Begleit-Band zu imitieren.
C. M.: Wie entwickelte sich Dein Begleitstil, der immer wieder als orchestrale Spielweise bezeichnet wird und in dem Du die traditionellen Spieltechniken insbesondere durch zahlreiche percussive Effekte erweitert hast?
E. N.: Mein heutiger Begleitstil bildet gewissermaßen die Summe aus allen musikalischen Erfahrungen, die ich im Laufe der vergangenen 25 Jahre in den unterschiedlichsten stilistischen Besetzungen gesammelt habe: Folk – Rock – Blues – Fusion – Jazz in Bands plus die Arbeit als klassischer Solist und in diversen Kammermusikformationen. So sehe ich mich heute mehr als ein Arrangeur, der eine Gitarre plus Gitarrensynthesizer zur Verfügung hat und dessen Hobby es ist zu reharmonisieren und groovende Arrangements zu produzieren – der diese dann aber auch noch selbst auf besagtem Instrument spielen darf.
C. M.: Konzert- und Workshoptourneen führten Euch sogar schon bis nach Taiwan. Stimmt es, dass es dort eine große und enthusiastische Gitarrenszene gibt?
E. N.: Ja, das stimmt absolut. Anscheinend gibt es dort gerade in Sachen Fingerstyle-Gitarre einen großen Nachholbedarf und es ist schon klasse, wie interessiert und begeistert man dort als westlicher Musiker empfangen wird: ein ganz besonderes Erlebnis waren die Wokshops, die von großem Interesse, aber auch von profunden Kenntnissen der Teilnehmer geprägt waren.
C. M.: Du arbeitest auch mit einem Gitarrensynthesizer. Wann kommt der zum Einsatz?
E. N.: Der Synthesizer gibt mir eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten: – erstens benutze ich ihn als Mittel zum Orchestrieren: so kann ich z.B. bei Balladen String- oder Orgelsounds mit dem Hould-Pedal als Fläche unter den eigentlichen Gitarrensound legen und auf diesem Wege auch Stücke realisieren, die sonst auf Grund des mangelnden Sustains des Gitarrentones im Duo nicht funktionieren würden. Oder ich kann den Gitarrensound erweitern, indem ich auf die oberen vier Saiten einen Pianosound lege und auf die beiden Bass-Saiten einen nach unten oktavierten Basssound. – zweitens bietet sich durch die Vermischung von Gitarrenklang mit selbst programmierten Synthesizerklängen ein Kaleidoskop von Möglichkeiten, wirklich neue, sozusagen “unerhörte” Sounds zu kreieren – gewissermaßen als Gegenpart zu Open-Tunings, die ja auch ganz bestimmte Stimmungen heraufbeschwören. – drittens hat sich der Gitarrensynthesizer im Unterricht beim Vermitteln von improvisatorischen Fähigkeiten in so fern bewährt, als man den Gitarrenklang ausblenden und dem Schüler z.B. nur einen Vibraphonsound zur Verfügung stellen kann: das Ergebnis ist verblüffend “ungitarristisch-musikalisch”, da die typische V.Lage-Pentatonik-Bending-Herangehensweise hierbei wie Micky-Maus-Musik klingt und man plötzlich wirkliche melodische Linien spielen muss.
C. M.: Da stellt sich natürlich die unvermeidliche Equipmentfrage. Was für Material bevorzugst Du bei Deinen Konzerten?
E. N.: Ich spiele hauptsächlich eine Manzanita F-classic (Nylonstring-) Gitarre, die Moritz Sattler 1998 gebaut hat. Diese ist bestückt mit einem RMC Polydrive II Pickup-System (in Deutschland exclusiv vertrieben über Frameworks-Guitars.com), das es mir ermöglicht, den Tonabnehmersound ins Mischpult zu schicken und gleichzeitig einen Gitarrensynthesizer anzusteuern. Live benutze ich zusätzlich ein AKG C391 Kondensatormikrophon. Meinen Roland GR-1 Synthesizer (den ich bei den beiden To be Two-Produktionen benutzt habe), habe ich just gerade zugunsten des neuesten Roland-Modells ausgemustert. Diese neue Kombination vom Roland GI-20 Interface mit dem XV-2020 Soundmodul hat mich spontan (…nach einer Einarbeitungszeit von ca. 4 Wochen…) unglaublich begeistert, da sowohl das Tracking als auch die Soundmöglichkeiten den Synthie nunmehr zu einem extrem ernst zu nehmenden Arbeitsmittel machen. Das ganze wird ab Jahresende durch meine neue Frameworks-Midigitarre unterstützt werden, die dann meine bislang benutze Godin-Multiac ablösen wird. In meinem neuen Duo RAINBOW SLEEVES (mit der Sängerin Lara Schallenberg) benutze ich zusätzlich noch eine Hagström 12-string und eine ebenfalls mit RMC-System versehene Martin D-45-Kopie von Mountain.
C. M.: Auf der CD “The Edge Of Season ” gibt es auch Eigenkompositionen von Dir und Christiane Weber zu hören. Wollt Ihr in Zukunft mehr in diese Richtung gehen?
E. N.: Momentan stellt sich diese Frage weder für Christiane noch für mich, da sie schon seit geraumer Zeit sehr mit ihrem Chanson-Duo eingespannt ist und ich mich derzeit voll auf das Programm für die erste “Rainbow Sleeves-CD” konzentriere, die im kommenden Frühjahr bei Acoustic Music Records erscheinen wird.
C. M.: Auch Euren Bearbeitungen drückt Ihr meist einen sehr persönlichen Stempel auf. Wie entstehen solche Arrangements? Jammt Ihr erst einmal oder arbeitest Du den Gitarrenpart schon vorher aus?
E. N.: Meistens ist es eine Mischung aus beidem: zunächst legen wir die Tonart fest und dann experimentiere ich vor der nächsten Probe erst einmal mit meinen Arrangement-Ideen. In der Probe nehmen wir dann eine kanalgetrennte Arbeitsversion auf und ich verfeinere das Arrangement mit Hilfe der reinen Gesangspur (z.B. “Here comes the sun” oder “My funny Valentine”). Bei manchen Stücken ist es aber auch schlicht so, dass ich direkt versuche, ein vorgegebenes Bandarrangement auf die Gitarre zu übertragen (z.B. “So far away” oder “Grapefruit Moon”).
C. M.: Du vertrittst die Auffassung, dass Gitarristen sich ihrem Instrument mehr wie Pianisten nähern sollten?
E. N.: Ja, wenn man diesen “orchestralen Fingerstyle”-Stil spielen will, absolut – und dies in vielfältiger Hinsicht: erstens sollten Gitarristen ihr Griffbrett genauso gut kennen wie Pianisten ihre Tastatur, was zugegebener Maßen unübersichtlich, aber durchaus lernbar ist, wenn man die Gitarre als “6-manualiges Keyboard” auffasst. Zweitens können Pianisten nur Akkorde spielen, deren Aufbau sie auch verstehen – und von dieser Herangehens- und Denkweise kann man als Gitarrist nur profitieren, um dann drittens in Sachen Stimmführung, Akkordumkehrungen und Voicings wirklich professionell zu werden. So habe ich am meisten von der Transkription vieler Piano-Begleitparts über o.g. Themen gelernt und kann nur empfehlen, es selbst einmal auszuprobieren!
C. M.: Besonders erfolgreich bist Du als Buchautor bei Acoustic Music. Gerade ist ein Band mit Arrangements für Gitarrenduo erschienen. Kannst Du uns Näheres zum Inhalt veraten?
E. N.: Bei diesem Buch handelt es sich nicht um Arrangements, sondern um 10 Kompositionen von mir, die sich stilistisch zwischen Folk, Blues, Pop und Jazz bewegen und primär für den Einsatz im Musikschulunterricht gedacht sind. Vom Schwierigkeitsgrad her sind sie der Mittelstufe zuzuordnen, wobei der Begleitgitarrist immer die orchestrale Stimme spielt und die erste Gitarre durchweg einstimmig komponiert ist, so dass man den Band sehr gut als Material zum Lagenspiel-Training (I-XII.Lage) benutzen kann. Das Buch enthält aber auch eine eingelegte C-Stimme, die den Einsatz im Unterricht für verschiedene Melodieinstrumente interessant macht (Block- bzw. Querflöte, Violine). Hierbei erweist sich die kanalgetrennt aufgenommene Play-along-CD als sehr hilfreich, da die Stücke in zwei verschiedenen Tempi eingespielt sind. Ich habe bislang sowohl von Gitarren- als auch von Geigen- und Querflöten-KollegInnen auf das Buch durchweg positive Resonanz erhalten.
C. M.: Schon mit dem Band “Groovin´ Christmas Guitars” hast Du Bearbeitungen für Gitarrenduo herausgegeben. Ist diese Besetzung auch künstlerisch eine Option?
E. N.: In den 80er Jahren hatte ich bereits ein klassisches Gitarrenduo und habe in den 90ern auch in zwei Formationen jeweils mit Jazzgitarristen zusammen gespielt, das hat mir zwar viel Spaß gemacht, aber seit dem ich die Besetzung Gesang-Gitarre für mich entdeckt habe, fühle ich mich musikalisch gesehen erst richtig zu Hause.
C. M.: Als aktuelles Projekt arbeitest Du an einem Lehrwerk , mit dem Du die Technik des Arrangierens vermitteln möchtest. Kannst Du schon etwas näheres darüber sagen?
E. N.: Dieses Buch soll ein weites Spektrum an Inhalten abdecken und ich denke derzeit sehr viel darüber nach, wie ich diese am besten so aufbereiten kann, dass sie auch ohne Rückfragen nachvollziehbar sind. Es wird auf jeden Fall um Harmonisation und Reharmonisation gehen und um das Adaptieren verschiedener Grooves für Gitarre solo und Gitarrenduo. Des weiteren werden auch formale Aspekte wie Intros, Outros und Interludes besprochen. Alles weitere wird sich dann, wie immer, beim Schreiben ergeben…
C. M.: Auch als Dozent bei Workshops bist Du sehr aktiv. Welche Inhalte liegen Dir hierbei am meisten am Herzen?
E. N.: Primär sicherlich die bereits Genannten, was die pianistische Herangehensweise und die Arrangiertechnik betrifft. Abgesehen davon geht es bei den Workshops auch immer um spezielle Spieltechniken der Groove-Gitarre, wie z.B. ein Kompendium der verschiedenen Click-Sounds, spezielle Flageoletts und theoretische Grundlagen des Akkordaufbaus und deren Übertragung auf die Gitarre. Aber ich habe festgestellt, dass nicht nur die zu vermittelnden Inhalte wichtig sind, sondern vor allem der didaktische Weg, den man auf einem Workshop beschreitet: d.h. ich versuche z.B. immer, die verschiedenen Grooves in so kleine Teile zu zerlegen, dass sie jedem nachvollziehbar sind. So kann jeder mit dem Material, auch wenn er es während eines Workshops noch nicht komplett beherrscht, trotzdem zu Hause schrittweise weiterarbeiten. Des weiteren berühre ich meistens Themen, die anscheinend eine Vielzahl von Gitarristen interessiert: Walking Bass spielen in Verbindung mit Akkorden; orchestrale Grooves wie Latin oder Montunos; Wege, die wegführen vom Denken in Griffbildern; Erlernen der Griffbretttöne in Rekordzeit und nicht zuletzt die Arbeit mit dem Gitarrensynthesizer. Abgesehen von all diesen inhaltlichen Aspekten bin ich aber vor allem immer sehr darum bemüht, die Teilnehmer individuell dort abzuholen, wo sie gerade stehen und auf Fragen und Anregungen direkt einzugehen.
C. M.: Kommen wir auf Dein neues Duo zu sprechen. Mit der Sängerin Lara Schallenberg hast Du das Duo “Rainbow Sleeves” ins Leben gerufen. Warum dieses neue Duo, wo Du doch mit Christiane Weber schon in dieser Besetzung aktiv bist?
E. N.: Es gibt Momente, in denen einem das Schicksal MitmusikerInnen über den Weg schickt und diese muss man einfach nutzen. Ich war spontan so beigeistert von Lara Schallenbergs Gesang auf einer Demo-CD, dass ich sie direkt kontaktiert habe. Bei unserer ersten gemeinsamen Probe bestätigte sich schnell, dass die Stilistik in eine ganz andere Richtung gehen würde, als das bei To be Two der Fall ist: das RAINBOW SLEEVES-Repertoire bewegt sich primär in der Singer-Songwriter-Stilistik (Rickie Lee Jones, Joni Mitchell, Randy Newman usw.) und gibt mir die Gelegenheit, eine Vielzahl von Gitarren einzusetzen (12-string, Steelstring, Nylonstring und Midigitarre mit einem breiten Soundarsenal). Abgesehen davon sind Lara und Christiane sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und Stimmtypen. Außerdem kann ich bei RAINBOW SLEEVES endlich einmal wieder backing vocals singen!
C. M.: Herzlichen Dank für dieses Interview und ganz viel Erfolg mit Deinen aktuellen und zukünftigen Projekten!
Weiter Informationen: