Eine Vorstellung seiner neuesten CD “Connections” gibt es bereits auf GitarreHamburg.de. Im folgenden sehr ausführlichem Interview könnt Ihr diesen interessanten Gitarristen noch näher kennen lernen.
Das Interview führte Christian Moritz.
Christian Moritz: Als Jugendlicher hat Dich ein TV-Auftritt des amerikanischen Bluesgitarristen Stefan Grossman zum Gitarrespielen animiert. Deine heutige Musik hat wenig mit dem zu tun, was Du damals gehört haben wirst. Wie hat sich diese Entwicklung vollzogen?
Jacques Stotzem: Richtig, am Anfang habe ich Blues und Ragtime gelernt, aber ich war ein bisschen frustriert, weil ich auch mehr melodische Sachen spielen wollte. Im Repertoire der traditionellen Gitarrenmusik fand ich nicht was ich wollte. Deshalb habe ich angefangen in einer mehr melodischen Richtung zu komponieren.
C.M.: Von welchen musikalischen Vorbildern bist Du am stärksten beeinflusst worden?
J.S.: Am Anfang war das natürlich Blues und Ragtime, aber später bin ich mehr vom Jazz beeinflusst worden.
C.M.: Kannst Du konkrete Personen oder Musikstücke nennen?
J.S.: Im Blues, Big Bill Broonzy und Gary Davis und im Jazz, Pat Metheny, Mike Stern aber auch Popsänger wie Sting oder Jackson Browne.
C.M.: Wie würdest Du Deinen Kompositionsstil beschreiben?
J.S.: Meine Musik ist wirklich emotional, das bedeutet, ich schreibe Stücke wenn ich zum Beispiel etwas Besonderes erlebe. Sehr oft, auf Tour, passiert etwas und das gibt mir Inspiration für ein neues Stück. Ich probiere immer mit einem Stück eine Geschichte auf der Gitarre zu erzählen. “Gando” habe ich z.B. nach meiner ersten Tour in Japan für einen leckeren Fisch komponiert! Es gibt mehrere Beispiele dieser Art und ich erzähle immer die Geschichte der Stücke beim Konzert. Die wichtigsten Bestandteile meines Stils sind : Melodie, Dynamik und Diversität.
C.M.: Entstehen Deine Stücke am Instrument?
J.S.: Ich komponiere mit der Gitarre, aber ich will immer Musik machen, nicht unbedingt Gitarrenmusik.
C.M.: Welche Rolle spielt die Improvisation in Deinen Stücken?
J.S.: Es hängt vom Stück ab, z. B. Stücke wie “Gando” oder “Une part de soi” sind wirklich geschrieben und ich improvisiere nicht. Die Interpretation kann sich natürlich ändern. Aber es gibt Stücke wie “A Suivre” oder “Acoustic Spirit”, die ich live spiele und in denen ein grosser Teil improvisiert ist.
C.M.: Bei Konzerten sagst Du manchmal, dass Du lieber nicht singst, weil das für alle besser wäre. Für klassische Musiker ist der Gesang meistens so etwas wie die Mutter jeder Melodie. Wie kommt es, dass Deine Stücke dennoch so vom Melodischen dominiert werden?
J.S.: Was ich da live sage, gehört zu meinem “belgischen Humor”, d.h. etwas Lustiges über sich selbst zu sagen. Aber auch wenn ich nicht singe, kann ich sehr gut eine “richtige” Melodie in meinem Kopf entwickeln und dann diese Melodie auf der Gitarre spielen, um daraus eine neue Komposition zu entwickeln. Die Melodie ist für mich sehr wichtig! Meiner Meinung nach sind zuviele Stücke für Gitarre mit “Gitarrentricks” komponiert und es fehlt eine richtige lineare Melodie, die man z.B. auf einem Saxophon oder einer Geige spielen könnte.
C.M.: Du spielst mit Picks und auf Stahlsaiten, trotzdem hast Du einen sehr runden, warmen Ton. Wie bekommst Du das hin?
J.S.: Ich bin sehr froh mit Picks zu spielen. Wichtig ist aber, dass ich mit Plastikpicks und nicht mit Stahlpicks spiele. Der Klang ist sehr gut, sehr rund und ohne Nebengeräusche. Die Picks ermöglichen mir auch große Unterschiede in der Dynamik zu machen, was sehr wichtig für die Sologitarre ist.
C.M.: Hast Du auch schon einmal Konzertgitarren mit Nylonsaiten ausprobiert?
J.S.: Ja natürlich, und der Klang gefällt mir sehr gut, aber das Problem ist, dass der Hals nur 12 Bünde hat und auch ziemlich breit ist. Das ist schwierig für mich, weil ich viel mit dem Daumen der linken Hand spiele. Ich spiele auch ab und zu eine “Lowden S25J Jazz Modell”. Diese Gitarre hat Nylonsaiten und 14 Bünde. Ich benutze diese Gitarre sehr gern für einige Stücke.
C.M.: Was würdest Du Gitarristen empfehlen, die lernen wollen so wie Du zu spielen?
J.S.: Die Gitarre ist wirklich ein Instrument, das nicht einfach zu spielen ist. Mein erster Rat wäre, viel zu üben. Ich bemerke bei meinen Workshops, dass fast alle Gitarrenspieler sehr schnell auswendig spielen, dabei wäre es wirklich besser, zuerst die Harmonien von einem Stück zu verstehen. Ich bin wirklich ein “Fan” von schönen harmonischen Verläufen, was auch für mich als Komponist sehr wichtig ist.
Wichtig ist auch eine gute Motivation. Ich spiele sehr gerne Gitarre – jeden Tag – und ich spiele nur Musik, die mir gefällt. Ich glaube, dass man besser spielt, was man gern hat. Die Arbeit an der Interpretation ist auch sehr wichtig. Das bringt Leben in die Musik, weshalb man diesen Teil sehr viel üben muß. Es macht aber wirklich sehr viel Spass, wenn man bemerkt, dass die Musik, die man spielt, lebt !
C.M.: Kannst Du konkrete Tipps geben?
J.S.: Für Fingerstyle (aber nicht nur) sind die Akkorde sehr wichtig. Die Akkorde zu verstehen (wie sie gebaut sind und auch wie sie zusammen funktionieren) ist meiner Meinung nach sehr wichtig wenn man Fortschritte machen möchte.
C.M.: Wenn jemand an einem Deiner Kurse teilnehmen will, was sollte er schon können?
J.S.: Anfänger frage ich, ob sie die Grundakkorde kennen. Mit diesen lernen wir dann die Basis von Fingerstyle. Aber es ist natürlich besser, wenn die Leute schon Fingerstyle spielen. Dann kann man besser an Themen wie Interpretation, Dynamik und natürlich auch Harmonie arbeiten.
C.M.: Hast Du schon einmal daran gedacht ein Lehrwerk zu verfassen?
J.S.: Ich habe genug Material, um ein Buch zu schreiben. Leider habe ich noch nicht die Zeit gehabt, das zu konkretisieren. Irgendwann werde ich das aber bestimmt machen.
C.M.: Wenn man so spielen kann wie Du, übt man dann noch? Wenn ja, was übt man?
J.S.: Natürlich übe ich! Wie gesagt, spiele ich jeden Tag mit sehr viel Spass Gitarre. Ich mache Übungen wie chromatische Tonleitern oder spiele andere Skalen, um die Finger warm zu machen. Dann spiele ich Stücke, aber ohne ein besonderes Programm, nur was ich im Moment gern habe. Wenn ich neue Stücke komponiere, bin ich natürlich total damit beschäftigt. Ich kann dann stundenlang spielen, ohne an etwas anderes zu denken. Das mache ich allerdings nur, wenn ich zu Hause bin. Auf Tour habe ich natürlich weniger Zeit zu üben. Aber die Übungen mit den Tonleitern mache ich jeden Tag.
C.M.: Von Werner Lämmerhirt ist bekannt, dass er keine Noten lesen kann. Benutzt Du Noten, oder braucht man das als Fingerstyle-Gitarrist nicht?
J.S.: Ich kann nicht vom Blatt spielen. Aber ich bin – wie schon gesagt – wirklich ein “Fan” von Harmonien und verstehe sehr viel von Akkorden. Ich benutze die Informationen, die die Notenschrift bietet, eher analytisch in einer Jazzrichtung als in einer klassischen Richtung.
C.M.: Du hast mittlerweile 7 CDs eingespielt. Wie unterscheidet sich Deine letzte CD “Connections” von den anderen?
J.S.: Ich habe 6 CDs bei Acoustic Music Records gemacht. Für mich ist “Connections” die persönlichste. Ich war im letzten Jahr sehr viel auf Tour und fast alle Stücke haben eine besondere Geschichte.
C.M.: Auf “Connections” spielst Du unter anderem im Duo mit dem E-Gitarristen Jacques Pirotton und dem Harp-Spieler Thierry Crommen. Sind die Stücke von Dir auskomponiert, bzw. durcharrangiert oder ergibt sich das Arrangement während einer Session?
J.S.: Ich habe bei den Duostücken alle Teile (ausser natürlich den Improvisationsteilen) für die anderen Instrumente geschrieben. Ich wollte aber auch die Persönlichkeit von Jacques und Thierry wiederfinden, denn ich wollte eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen uns. Sie haben ihre Persönlichkeit durch ihre eigene Interpretation der geschriebenen Parts eingebracht.
C.M.: Wie wichtig ist Dir das Zusammenspiel mit anderen Musikern?
J.S.: Ich spiele sehr oft allein. Mit anderen zu spielen bringt aber etwas anders, neue Ideen und auf der Bühne ein anderes Feeling als ein Solokonzert. Ich habe beides gern mit einer Vorliebe für Solo.
C.M.: Hast Du auch schon in größeren Besetzungen gespielt?
J.S.: Am Anfang, ja. Ich habe mit verschiedenen Gruppen gespielt (um Geld zu verdienen!). Die Musik war nicht interressant, aber ich habe dabei sehr viel gelernt.
C.M.: Du spielst eine Lowden-Gitarre und ein Modell von Martin. Was unterscheidet diese Instrumente voneinander, bzw. unter welchen Kriterien kommen sie zum Einsatz?
J.S.: Ich spiele jetzt nur noch die LOWDEN (LSE2), aber ich habe noch die Martin OM21. Sie sind beide gut. Die Martin OM ist die typische Stahlsaitengitarre, das ist wie der “Grundklang”. Die Lowden ist moderner, die Konstruktion ist wunderbar, der Klang ist sehr direkt. Wenn ich unterwegs bin, ist sie sehr zuverlässig.
C.M.: Machst Du Aufnahmen ausschließlich in Deinem Heimstudio?
J.S.: Ja, das ist sehr gemütlich so. Ich kann aufnehmen, wenn ich Lust und Zeit dazu habe.
C.M.: Welches Equipment steht Dir dabei zur Verfügung?
J.S.: Ich mache alle Aufnahmen auf DAT Recorder. Ich kann wirklich sagen, dass alle meine CDs “live” eingespielt sind. Von der Gitarre gehen drei Linien in das Mischpult:
- das Stereosignal von dem Fishman Stereo Blender (Pickup und Mikrofon in der Gitarre sind getrennt)
- ein AKG Mikrofon vor der Gitarre.
Alle drei werden folgendermaßen gemischt : links AKG, rechts Mikro in der Gitarre und in der Mitte der Pickup. Als Effekt benutze ich eine Lexicon Reverb.
C.M.: Was hörst Du in Deiner Freizeit für Musik?
J.S.: Für mich ist die Musik grenzenlos, das kann von Jazz bis Popmusik gehen. Aber nicht unbedingt Gitarrenmusik. Ich höre z.B. genauso gern Gary Davis, Sting, Pat Metheny oder Edith Piaf.
C.M.: Deine Musik klingt fast durchweg “positiv”. Ist das ein wesentlicher Charakterzug von Jacques Stotzem?
J.S.: Ich würde sagen “optimistisch”. Ich bin so. Ich bin mir bewusst, dass es eine große Chance ist, als Profimusiker zu leben, nur von Konzerten und Workshops, wenn es auch nicht immer einfach ist. Ich treffe viele Leute und reise auch viel. Das ist toll.
C.M.: Vielen Dank für die Mühe, die Du Dir mit dem Beantworten der Fragen gemacht hast. Und das alles auf Deutsch! Ich wünsche Dir weiterhin viel Spaß mit der Gitarre und alles Gute.
CD-Vorstellung: Connections
Weitere Informationen gibt es auf folgender Website: