GitarreHamburg.de präsentiert ein eindrucksvolles Wochenende
mit Johannes Tonio Kreusch
Am Abend des 04. April 2003 eröffnete Johannes Tonio Kreusch mit einem denkwürdigen Konzert die Veranstaltungsreihe „GitarreHamburg.de präsentiert“. Auf dem Programm stand „Siddhartha“, eine Eigenkomposition des Münchener Ausnahmegitarristen, die auf dem gleichnamigen Roman Hermann Hesses basiert.
Aus einem Nebenraum betritt Johannes Tonio Kreusch den abgedunkelten Saal. Nur die kleine Bühne ist von zwei Scheinwerfern in ein warmes Licht getaucht. Schon auf dem Weg zum Podium entlockt er seinem Instrument angenehm sonore Basstöne und lässt darüber perlende Flageoletts fließen. Kreusch schafft sofort eine sehr intime Atmosphäre und zieht das dicht vor der Bühne sitzende Publikum von Beginn an in seinen Bann. Wohl niemand kann sich dem Zauber entziehen, der sich im gut gefüllten Mendelssohnsaal der Hamburger Hochschule für Musik zu entfalten beginnt.
Spielend nimmt Kreusch seinen Platz auf der Bühne ein und spielend richtet er seine Einladung an das Publikum, gemeinsam mit ihm an diesem Abend auch den leisen Tönen zu lauschen. Danach entführt er seine Zuhörer auf eine musikalische Reise durch bis Dato ungekannte Klangräume, entlockt seinem Instrument einen wunderbaren Reichtum an Klangfarben und Effekten und verdichtet zunehmend die ohnehin schon spannungsreiche Atmosphäre. Was der hochsensible Gitarrist an musikalischer Expressivität und emotionaler Hingabe darbietet, sucht seinesgleichen.
Die vierzehn Sätze der abendfüllenden „Siddhartha Suite“ entsprechen den Kapiteln der Romanvorlage. Sie beinhalten sowohl auskomponierte Abschnitte, als auch improvisierte Passagen. Siddharthas Suche nach dem Urgrund seiner Seele wird von Kreusch ebenso eindringlich wie kreativ musikalisch nachgezeichnet. Alle dargebotene Virtuosität ist einzig der Musik untergeordnet und entfaltet sich mit großer Selbstverständlichkeit. Was in anderen Konzerten effektvolles Zurschaustellen technischer Fähigkeiten ist, kommt hier auf so unspektakuläre Art und Weise daher, dass der Zuhörer erst in der Rückschau gewahr wird, von welch spieltechnischer Brillanz Kreuschs Vortrag getragen wurde.
So wie er gekommen ist, so verlässt Johannes Tonio Kreusch den Saal, umkreist noch einmal spielend sein Publikum und entfernt sich langsam, bis sich seine Klänge im Nichts verlieren. Erst zögernd kommt das Publikum zurück in die Realität. Nach einem angenehm besinnlichen Moment der Ruhe entlädt sich die Begeisterung in einem stürmischen Applaus. Mit dem Präludium aus der Lautensuite BWV 996 von J.S. Bach und der 11. Etüde von Heitor Villa-Lobos verabschiedet sich Kreusch von einem Publikum, das den Interpreten nur ungern von der Bühne entließ.
In einem Interview mit Johannes Tonio Kreusch äußerte der damalige Herausgeber der Fachzeitschrift „Gitarre & Laute“ Peter Päffgen einmal den Wunsch, dass er etwas ganz Neues herbeisehne. Vielleicht wohnte diesen Worten ja schon eine leise Vorahnung inne, dass sein Interviewpartner nur wenig später die Gitarrenszene mit etwas gänzlich Neuem überraschen würde.
Die anwesenden Teilnehmer des Meisterkurses warteten nun mit gespannter Vorfreude auf die folgenden Kurstage und sie wurden nicht enttäuscht. Genauso wie als Interpret, wusste Johannes Tonio Kreusch auch als engagierter, dynamischer und gleichsam feinfühliger Dozent zu überzeugen.
Mit einem untrüglichen Gespür dafür, was der vor ihm sitzende Schüler von ihm erwartet, bzw. was sich der Einzelne an Hilfestellungen wünscht, gestaltete er den zu jeder Zeit spannenden Podiumsunterricht. So liefen die einzelnen Unterrichtseinheiten auch nicht nur aufgrund des unterschiedlichen Repertoires sehr verschieden ab. Dies reichte von ganz praktischen spieltechnischen Hilfestellungen, über das Erarbeiten günstiger Fingersätze, das Feilen an interpretatorischen Details bis hin zum schon fast auf psychologischer Ebene stattfindenden Beratungsgespräch. Immer zeigt Kreusch dabei seine Begeisterung und Liebe zur Musik und lässt diese auf die Kursteilnehmer überspringen.
Geschickt und variantenreich gelingt es Kreusch auch die oft als stressig empfundene Situation des Podiumsunterrichts zu entspannen, den Schüler zu lockern und so wirklich für neue Inhalte zu öffnen. Dies zeigte sich nicht zuletzt an den signifikanten und deutlich hörbaren Fortschritten. Frei von Dogmen geht Johannes Tonio Kreusch sehr verantwortungsvoll mit der musikalischen Identität seiner Schüler um und dient ihnen als Begleiter auf dem Weg zu einem musikalischen und ausdrucksvollen Vortrag. Dabei versucht er immer wieder, den oft selbsterzeugten Druck vermeintliche Standards erfüllen zu müssen von ihnen zu nehmen.
„Wir ertragen es auf einer tief unbewussten Ebene nur schlecht, wenn wir die Dinge nicht bis zum letzten Zipfel im Griff zu haben brauchen, wenn etwas mühelos zu haben ist, ja, gelegentlich nur mühelos zu haben ist.“ An das, was Volker Biesenbender hier sehr schön in seinem Buch „Von der unerträglichen Leichtigkeit des Instrumentalspiels“ beschreibt, fühlte man sich an diesem Wochenende oft erinnert. Entsagender Fronarbeit setzt Kreusch ansteckende Experimentierlust entgegen, die nebenbei auch so manches spieltechnische Problem in verblüffend kurzer Zeit in Luft auflöst.
Auch die für alle Teilnehmer offenen Unterrichtseinheiten, mit denen die Nachmittage eröffnet wurden, boten hochinteressante Inhalte. Auf Wunsch der Teilnehmer vermittelte Kreusch hier zuerst seine Art der Tongebung. Am Sonntag zeigte er an vielen Beispielen aus unterschiedlichen Epochen auf, wie viel wertvolle Informationen Urtexte dem Musiker beim Erarbeiten einer schlüssigen Interpretation liefern können. Zu welchen Ergebnissen eine solche Auseinandersetzung mit Urtexten führen kann, hat Johannes Tonio Kreusch ja schon auf eindrucksvolle Art und Weise mit seiner Einspielung der 12 Villa-Lobos-Etüden aufgezeigt.
Am Ende war eine allgemeine Aufbruchstimmung unter den Teilnehmern zu spüren, die von einer ordentlichen Portion frischer Motivation und Experimentierlust erfüllt waren. Sie hatten einen Dozenten erlebt, der sehr viel mitzuteilen hat, dies aber auf eine so unprätentiöse und selbstverständliche aber gleichzeitig begeisternde Weise tut, wie es nur bei den ganz Großen der Fall ist.
Abgerundet wurde die Veranstaltung durch einen gemütlichen und kommunikativen Rahmen. Gemeinsames Frühstück, Essen beim Italiener oder Pausen mit Kaffee und Kuchen boten die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen und kennen zu lernen. Am Samstag stellten die Gitarrenbauerin Annabelle Kießig und Carsten Kobs ihre Instrumente vor. Als kleine Überraschung erhielten alle Teilnehmer zudem einen Gratissatz Saiten der neuentwickelten Finncorde-Saiten mit vorgespanntem Nylonkern.
Ein sehr runder und schöner Auftakt zur Veranstaltungsreihe „GitarreHamburg.de präsentiert“, die vom 17. –19. Oktober 2003 mit einem Konzert und einem Workshop des Fingerstyle-Gitarristen Jacques Stotzem fortgesetzt wird.