Bernard Hebb wurde 1941 in den USA geboren. Erster Gitarrenunterricht bei Francis LaPierre. Studium an der Hochschule für Musik in Wien bei Prof. Karl Scheit, später auch dessen Assistent. Studienabschluss „Solisten-Diplom“ mit Auszeichnung für Gitarre. Baute am Hamburger Konservatorium die akademische Gitarrenabteilung mit auf und wurde danach Professor an der Hochschule für Künste in Bremen. Diverse Preise und Auszeichnungen im In- und Ausland, Jury-Mitglied bei verschiedenen Internationalen Festivals, Gastprofessor an der „Escuela de Música de la Universidad de Guanajuato“ in Mexico. Veröffentlichungen im Trekel-Verlag, Acoustic Music Books u.a.. Mitbegründer der „Zevener Gitarrenwoche“. Zahlreiche Konzerte, CD-, Rundfunk- und Fernsehaufnahmen in Europa, den USA, Südamerika, Thailand und Australien.
Das Interview führte Bernd Ahlert, Prof. für Gitarre in Hamburg und ehemaliger Student von Bernard Hebb.
Lieber Bernie, Du bist in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden. Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch! Vor kurzem hast Du auch ein Buch mit Lebenserinnerungen und Betrachtungen rund um die Gitarre veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Vielen Dank! Wie es dazu kam, so ein Buch zu schreiben, kann ich durch ein Zitat aus meinem Buch gut erklären. Vor mehreren Jahren fragte mich ein Gitarrenbauer: „Bernard, Du hast so viel mit und um die Gitarre in Deinem Leben getan, warum schreibst Du nicht darüber, so dass andere über die Situation der Gitarre in Deiner Zeit lesen können.“ Mein Antwort war: „Ich habe keinen großen Namen wie etwa Julian Bream oder John Williams, so warum sollte ich?“ Antwort: „Sicherlich, aber Du hast etwas getan, dass sie nicht getan haben, Du warst ein hauptamtlicher Professor für Gitarre und ein konzertierender Gitarrist“. Da ich danach öfter noch solche Bemerkungen von Gitarristen und Journalisten bei Gitarren Festivals hörte, habe ich mich dazu entschlossen, es zu schreiben. „Over the Years, a Journey in Time“ ist in leicht verständlichem Englisch geschrieben. Das Buch ist eine Kombination von Autobiographie, Zeitreise und Ratgeber. Ich fand es immer wichtig zu wissen, was Musiker in der Vergangenheit gemacht haben, um ihr Berufsleben zu gestalteten. Vieles was die Musiker in der Vergangenheit taten, um berufliche Erfolge zu erzielen, ist übertragbar in die heutige Zeit . Was sich grundsätzlich geändert hat ist nur die Methode.
Deine Karriere begann in den USA mit den „Mello Lads“, einer Band, in der Du E-Gitarre spieltest und auch versucht hast, Deinem Vorbild Les Paul nachzueifern. Wie passt das zusammen mit der klassischen Gitarre, bei der damals nicht wenige Lehrer die populäre Musik ablehnten?
Also, nachgeeifert habe ich Les Paul nicht! Ich hatte und habe noch heute eine Vorliebe für seine Art E-Gitarren zu spielen und ich habe viele Ideen von ihm bekommen und in meine eigene Spielweise eingebaut. In Keene New Hampshire, wo ich zu Schule gegangen bin, gab es keine klassischen Gitarrenlehrer. Daher nahm ich Unterricht für Plektrum Gitarre bei Francis LaPierre im Nachbarbundesstaat Massachusetts. Durch einen Zufall fand ich eine Schallplatte mit dem Flamenco- und Klassik-Gitarristen Vicente Gomez. Das Stück, „Romance de Amore“, was auch auf dieser Platte war, hat mich umgehauen! Francis LaPierre war ein hervorragender Plektrum-Gitarrist und –Pädagoge, aber er hatte nur rudimentäre Technikkenntnisse für die rechte Hand.
Die dann folgende Studienzeit in Wien hat Dich wohl am intensivsten geprägt. Welche Bedeutung hatte Dein Lehrer Karl Scheit dabei und wie ging er mit dem Amerikaner Bernard um, der ja aus einer ganz anderen Welt kam?
Abgesehen davon, dass mich Francis LaPierre sehr geprägt hat, kam nun ein weiterer, für die damalige Zeit sehr bedeutende Pädagoge dazu. Prof. Karl Scheit in Wien hat mich auf eine ganze andere Weise außerordentlich geprägt. Scheit wollte, dass jeder Student seine Individualität behält und am Ende des Studiums eine Selbständigkeit besitzt. Der Ton war für Scheit sehr wichtig, was nicht bedeutete, dass jeder Student gleich klingen sollte, sondern er hat auf die persönliche Interpretation geachtet, eben nicht nur beim Ton sondern besonders auch bei der Interpretation. Ich kann nur für meine Zeit in Wien (1965-1969) sprechen: Prof. Scheit hat allen Studenten – wenn Interesse vorhanden war – immer zusätzliche Unterstützung gegeben. Ein idealer Pädagoge!
Du hast immer den Kontakt zu zeitgenössischen Komponisten gesucht und sie motivieren können, Musik für die Gitarre zu schreiben. Auch in Deiner Diskographie tauchen viele moderne Kompositionen auf. Was hat Dich dabei geleitet?
Ich fand es notwendig, den für mich prägenden Zeitgeist als eine Verpflichtung anzusehen und halte es für ein „Muss“, dass jeder Musiker sich mit seinem musikalischen-Zeitgeist auseinander setzt. Durch die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponisten entsteht eine Wechselwirkung zwischen Komponist und Interpret: Sie beeinflussen einander gegenseitig und dadurch wird der Interpret beteiligt an dem, was der Komponist schreibt. Der erste Kontakt zu modernen Komponisten fing in meiner Studienzeit an, als ich „Der Ton E“ und „Die Fantasie“ (aus der Sechs Musiken op. 25) von Hans Erich Apostel (1901-1972) vorgetragen habe und eine kurze Zeit später den ganzen Zyklus Apostel vorspielte. Die erste Uraufführung, welche ich spielen durfte, waren „Drei Stücke für Gitarre“ von Romayne Wheeler (geb. 1942), der ein Kompositionsstudent von Alfred Uhl (1909-1992) war. 1971 machte ich meine erste professionelle Uraufführung: „Für Soto“ von Walter Steffens (geb. 1934). Die Uraufführung fand am 18. November in der “Patriotischen Gesellschaft von 1765“ in Hamburg statt.
In Deinem Buch beschreibst Du, dass Du als junger Student recht furchtlos an große Musikerpersönlichkeiten wie Menuhin und Rostropovich herangetreten bist. Was wollte der junge Hebb da von ihnen erfahren?
Ich würde mich nicht als furchtlos beschreiben, ich war nur sehr neugierig und wollte von international bekannten Namen wissen, warum sie tun, was sie tun oder ganz einfach Rat holen und auch beobachten, wie sie auf meine Fragen reagieren. Als Interpret eines Instrumentes sollte nicht nur die eigene Fachrichtung interessieren, sondern sollte auch der Kontakt zu anderen Solisten anderer Instrumente wichtig sein. Man kann viel davon profitieren.
Du hast in Deinem künstlerischen Leben viel Kammermusik gemacht und mit den unterschiedlichsten Sängern und Instrumentalisten zusammen gearbeitet. Wäre das auch eine Empfehlung für die heutige Studentengeneration oder sollte die lieber ihren Schwerpunkt auf das solistische Spiel legen?
Aus praktischen Gründen finde ich das Solo-Spiel sehr wichtig, da es einem ermöglicht, die eigene Technik zu verfeinern/verbessern und auch eine individuelle Ausdrucksweise zu entwickeln, welche dann wiederum für die Kammermusik vorteilhaft sein kann. Aber Kammermusik ist, jedenfalls für mich, ein Muss für jeden Musiker! Durch das Musizieren mit anderen Instrumentalisten oder Sängern wird – in einer sehr positiven Art – der eigene Vortrag und die Denkweise flexibler und somit gestärkter.
An Deinem letzten „Wirkungsort“, der Bremer Hochschule für Musik, gibt es eine sehr gut besetzte Abteilung für alte Musik. Welche Auswirkungen hatte das auf Dich und Deinen Unterricht?
Auf mich hat es wenig Einfluss genommen, aber ich habe gern mit der Abteilung für Alte Musik zusammen gearbeitet. Beispielsweise haben meine Studenten in meiner Zeit an der Hochschule für Künste in Bremen dem jeweiligen Prof. für Laute vorgespielt. Durch die Aufführungspraxis der Renaissance und Barockzeit konnten sie durchaus profitieren.
Im 20. Jahrhundert haben große Spielerpersönlichkeiten wie Segovia, Lagoya, Presti, Bream und Williams die künstlerische Gitarrenszene geprägt. Heutige Künstler haben trotz besserer Technik und größerer medialer Möglichkeiten offenbar nicht mehr den gleichen Erfolg. Wie ist das zu erklären?
In den 1960ern bis weit in die 1980er Jahre gab es bei den großen Musikfestivals wie den Salzburger Festspielen, den Bach-Tagen, dem Carinthischen Sommer u.a. jedes Jahr mindestens ein klassisches Gitarrenkonzert. Zurzeit lebt die Gitarre in einem Ghetto! Warum lebt sie in einem Ghetto? Ein Teil der Erklärung liegt bei die Gitarristen selbst: die Gitarristen haben u.a. die Gepflogenheit, den „normalen“ klassischen Konzertbetrieb kaum zu beachten. Ein Veranstalter hat mich einmal gefragt: „Die Gitarre hat ein sehr gutes und weitreichendes Repertoire. Warum spielen so viele Gitarristen „Effekthascherei –Kompositionen?“ Auch wurde moniert, dass die Kleidung oft unpassend ist. Anders gesagt: Programmauswahl, Präsentation und Persönlichkeit sind wichtig. In meinem Buch gehe ich auf dieses Thema und ähnliche Fragen ein.
Wie schätzt Du die heutige Gitarrenpädagogik an den Hochschulen in Deutschland ein? Wird es mehr und mehr eine Ausrichtung von differierenden Spielstilen geben, die sich vielleicht auch bekämpfen, wie wir es von anderen Instrumenten schon kennen? Oder bewahrt uns der doch sehr soziale Status der Gitarre davor?
Kann ich eigentlich kaum einschätzen. Ich habe beobachtet und selbst erfahren, wo solche Kämpfe hinführen können. Jeder Musiker/in mit Konzert- und pädagogischem Standard hat etwas anzubieten und deswegen ist es müßig, über Kollegen negativ herzuziehen. Solches unkollegiale Verhalten könnte mehr über evtl. Unfähigkeiten von diesen Personen aussagen, wenn solche Bemerkungen gemacht werden. Ein echter Profi hat so etwas doch gar nicht nötig!
Obwohl die Gitarre im Musikschul-Ranking neben dem Klavier/Keyboard das beliebteste Instrument ist und gut ausgebildete Lehrer braucht, sind an den Musikhochschulen im Laufe der letzten Jahre überall Stellen abgebaut worden. Ich nenne hier für den Norden nur Hamburg, Bremen und Lübeck. Können wir Gitarristen unsere Interessen nicht richtig vertreten oder hat das auch noch andere Gründe?
Nach meinen Recherchen gibt es zwei Haupt-Gründe:
Erstens: Das Rückgrat einer Musikhochschule ist das Orchester und dabei spielt die Gitarre keine Rolle wie z.B. Orchesterinstrumente wie Violine oder Flöte. Hochschulen können nicht auf hauptamtliche Lehrkräfte für Orchester- Instrumente verzichten. Dagegen tun sie es aber bei der Gitarre im Glauben, mehr sei nicht nötig. Gute und kompetente Berater werden kaum noch gefragt. Entscheidungen werden oft von leitenden Personen innerhalb der Fachbereiche getroffen, die wenig oder so gut wie keine Ahnung von die Situation der Gitarre innerhalb Deutschlands Musikleben haben. Zweiter Grund: Der Lobbyismus! Wir Gitarristen spielen ein Instrument, das keine richtig starke „Deutschland weite“ Lobby hat, eine Lobby, die ordentlichen Druck bei den Musikhochschulen machen könnte. Lobbisten- Gruppen innerhalb der Hochschulen haben kaum Interesse an der klassischen Gitarre. Geht ein Professor für Gitarre in Pension, wird die Stelle mit Lehraufträgen besetzt. Ein gutes Beispiel hierfür ist meine Stelle an der Hochschule für Künste in Bremen.
Aber die Sparmaßnahmen treffen nicht nur die Gitarre. Auch das Klavier ist davon betroffen. Es ist ebenso ein Solo-Instrument wie die Gitarre, bzw. als Begleitinstrument gefragt. Ein Beispiel hier – früher hatte die Hochschule für Künste in Bremen fünf hauptamtliche Lehrkräfte für Klavier. Inzwischen gibt es für Klavier nur noch eine Professoren-Stelle. Es gäbe noch weitere Beispiele wie das Dirigieren oder die Kirchenmusik hier in Bremen.
Welchen Einfluss siehst Du für die Gitarre durch Medien wie Youtube? Kann der Computer bzw. das Internet uns überhaupt beim Gitarre-Spielen helfen oder macht er es auf die Dauer vielleicht sogar ganz überflüssig?
Das Internet kann man heutigen Tages nicht mehr weg denken! Jeder Musiker sollte lernen, damit umzugehen. Das ist aber leider nicht immer der Fall. YouTube erreicht ein weltweites Publikum und gibt jedem Instrumentalisten oder Sänger eine gute Chance, sich darzustellen. Das Internet ist eine hervorragende Unterstützung für jeden Musiker und deswegen ist es sehr wichtig darüber gute Kenntnisse zu haben.
Falls auch der Unterricht im Internet gemeint ist, kommt es sehr darauf an, wer der Lehrende dort ist. Da gibt es Unterschiede. Es ersetzt für meine Begriffe jedoch nicht den persönlichen Kontakt bei einem guten und regelmäßigen Unterricht.
Du bist immer noch als Lehrer und Juror aktiv. Auf welchen Kursen oder Wettbewerben findet man Dich?
Kurz gesagt: Auf der Zevener Gitarrenwoche, dem Kursus in Vallendar bei Koblenz, den Gitarrentagen in Frankfurt an der Oder und Słubice/Polen, dem Aalborg International Guitar Festival in Dänemark, dem Stuttgart International Classic Guitar Festival. Einladungen als Jury Mitglied kann ich nicht auflisten, sie kommen meistens kurzfristig.
Was den Gitarrenbau betrifft habe ich den Eindruck, dass sich zwei grobe Richtungen entwickeln: Die moderne Leichtbauweise der Decke mit großer Lautstärke und die traditionelle Bauweise mit immer ausgeglichenerem Ton. Deutschland kommt hier eine bedeutende Rolle zu und man kümmert sich zunehmend mehr um alte Instrumente, deren Klang noch vor 30 Jahren niemand interessierte. Was passiert da?
Es ist wie bei vielen Dinge im Leben, da kommt etwas Neues, Modernes und das „Alte“ wird erst einmal zur Seite geschoben oder gar vergessen. Genauso ist es mit dem Bau von klassischen Gitarren. Jahre später werden die Qualitäten der früheren Bauweise plötzlich wieder entdeckt, weil sie andere klangliche Qualitäten haben; Qualitäten, mit der die moderne Bauweise nicht zurecht kommt. Auf jeden Fall, gibt es jetzt Gitarren für jeden Geschmack und ich finde das gut.
Du hast in Deiner Laufbahn viele verschiedene Gitarren gespielt. Wie wichtig ist für Dich das Verhältnis von Instrument und Künstler beim Gitarre spielen?
Ja, das stimmt und es ist sehr wichtig für mich! Wie jeder Gitarrist brauche ich jedenfalls eine Gitarre mit einer Klangfarbe und Ausdruckspalette, die zu meinen technischen Möglichkeiten und zu meiner künstlerischer Persönlichkeit passt. Julian Bream hat es einmal gut formuliert, er sagte sinngemäß: Ich möchte nicht eine Gitarre haben die mir sagt, was ich zu tun habe, sondern ich möchte der Gitarre sagen, was sie tun soll.
Du spielst heute wieder mehr Jazzgitarre im alten Stil und machst sogar Auftritte gemeinsam mit dem Jazzgitarristen Thomas Brendgens-Mönkemeyer in Clubs. Schließt sich hier ein Kreis, der mit den Mello Lads begann?
Vielleicht. Ich würde es so ausdrücken: „Meine Vergangenheit holt mich ein und ich bin froh, dass sie positiv ist!“
Verrätst Du uns Dein Geheimnis für die Gitarrenbegeisterung bis ins hohe Alter?
Eine Formel für Begeisterung, egal in welchem Alter, gibt es nicht, aber ich habe immer eine positive Einstellung zum Leben gehabt! Begeisterung hat mit Leidenschaft und der Liebe für oder zu einer bestimmten Sache zu tun. In meinem Fall ist es die Musik und die Gitarre. Was sicher wichtig ist: Ich lebe nicht in der Vergangenheit sondern mit der Vergangenheit! Meine Erfahrungen in der Vergangenheit benutze ich, um die Gegenwart für mich zu bereichern.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute!
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