Johannes Tonio Kreusch ist ohne Zweifel eine der interessantesten Persönlichkeiten der deutschen Gitarrenszene. Neben dem klassischen Repertoire widmet er seine Aufmerksamkeit auch der Improvisation und arbeitet mit Musikern wie Markus Stockhausen, Ornette Coleman sowie seinem Bruder Cornelius Claudio Kreusch zusammen. Zahlreiche CD-Veröffentlichungen für verschiedene Labels und ein Lehrauftrag an der Musikhochschule in München unterstreichen, was für eine wichtige Rolle dieser weltoffene Musiker eingenommen hat. Mit diesem Interview können die Besucher von GitarreHamburg.de einen Gitarristen kennen lernen, dessen musikalischer und geistiger Horizont weit über die sechs Saiten seines Instruments hinausreicht.
Das Interview führte Christian Moritz.
Christian Moritz: Du stammst aus einer Musikerfamilie?
Johannes Tonio Kreusch: In meiner Kindheit war Musik immer um mich herum.
Meine Mutter ist Konzertpianistin und hat verstärkt im Bereich der Zeitgenössischen Musik gearbeitet. Heute widmet Sie sich ausschließlich der Musikpädagogik, schreibt Bücher, komponiert neue Kinderlieder und macht CD-Produktionen für Kinder.
Was mein Bruder, der heute Jazz-Pianist ist, und ich schon früh vermittelt bekommen haben, war ein freies, experimentelles Herangehen an die Musik. Bei uns hat nie der “du musst aber heute noch üben” Satz geherrscht. Im Gegenteil, es war nie ein Zwang oder Druck da.
So haben wir beide unsere ersten musikalischen Erfahrungen gesammelt, indem wir auf unseren selbstgebauten Instrumenten unsere eigene Musik gemacht haben.
Heute haben wir unsere eigene Produktionsfirma “Kreusch Music GbR” und unseren eigenen Musikverlag “Kreusch Bros. Publishing GbR”. Wir gehen also auch beruflich oft gemeinsame Wege, indem wir gemeinsam Produktionen machen, komponieren oder zusammen konzertieren.
C. M.: Wann hast Du begonnen, Dich für die Gitarre zu interessieren?
J. T. K.: Ich hatte, bevor ich die Gitarre entdeckt habe, viele verschiedene Instrumente ausprobiert und gespielt, so erst Klavier, dann Klarinette und Saxophon. Ich kann gar nicht genau sagen wieso, aber ab einem gewissen Zeitpunkt kam in mir der Wunsch nach Gitarre auf.
Ich hatte eigentlich kein Initiationserlebnis, dass ich z.B. jemanden spielen hörte und dann sofort auch Gitarre spielen wollte. Es war auf einmal, als ich 10 oder 11 Jahre alt war, der Wunsch nach diesem Instrument da. Das bestärkt mich in der Annahme, dass das richtige Instrument zu einem selbst kommt, man muss nur offen dafür sein! Ich habe dann wie viele andere auch nicht gleich zur klassischen Gitarrenmusik gefunden. Erst als ich das erste Mal ein Bach-Stück auf der Gitarre gehört habe, war ich wie verzaubert und da hat es dann angefangen…
C. M.: Du hast vor dem Musikstudium Philosophie studiert. Hat das einen Einfluss auf den Interpreten bzw. die Musikerpersönlichkeit Johannes Tonio Kreusch?
J. T. K.: Als künstlerisch tätiger Mensch ist man sicher noch einmal besonders gefordert sich mit den existentiellen Fragen der menschlichen Existenz zu konfrontieren. So war es für mich eine Notwendigkeit, besonders, da ich das Musikstudium als sehr einseitig empfand, meine Suche in Form des Philosophiestudiums zu erweitern. Künstler zu sein – und eigentlich gilt dies für jeden Beruf – heißt ja unbedingt auch zu zweifeln, Fragen zu stellen und als Verantwortung tragende Persönlichkeit zu wirken. Es ist für mich unverständlich, dass die meisten Studien immer mehr in Richtung einseitiges Spezialistentum gehen und damit traurigerweise das Denken in eine gewisse Richtung ausgeschaltet wird.
Ich nehme mir für meine Arbeit einen Spruch von Paul Celan besonders zu Herzen:
“Die Kunst erweitern? Nein, sondern geh mit der Kunst in Deine allereigenste Enge und setze Dich frei.”
C. M.: Du hast bei dem Kubaner Joaqín Clerch studiert. Hat er das Interesse für Kuba und die kubanische Musik in Dir geweckt?
J. T. K.: Unbedingt! Joaquín war für mich eine sehr wichtige Bezugsperson während meiner Salzburger Zeit! Er hat in mir die Liebe zu Kuba geweckt und hat mich auch das erste Mal mit nach Havanna genommen. Ich werde nie vergessen, wie er mit einem Wort die ganze kubanische Lebensanschauung repräsentieren konnte: “paciencia“!
C. M.: Mit Deiner CD “Portraits of Cuba” stellst Du den Komponisten Tulio Peramo vor. Wie kam der Kontakt zu ihm zustande?
J. T. K.: 1994 bin ich Tulio Peramo während des Gitarrenfestivals in Havanna zum ersten Mal begegnet. Auf meinen Konzertreisen versuche ich immer, die Musikszene des Landes zu erkunden und die dort lebenden Komponisten zu treffen. Dabei begegnen einem immer wieder spannende Persönlichkeiten, deren Arbeit es zu entdecken und bekannt zu machen gilt.
1994, als damals 23-jähriger, fühlte ich mich natürlich sehr geehrt, als Tulio mich nach meinem Konzert fragte, ob ich im darauffolgenden Jahr die revidierte Fassung seines ersten Gitarrenkonzertes „Tientos y Cantos“ premieren wolle. Seit dieser Zeit arbeiten wir sehr intensiv zusammen und sind über die Jahre auch gute Freunde geworden.
Das erste Stück, welches er mir widmete, war das Gitarrenkonzert „Tres Imágenes Cubanas“, das in der Fassung für Streichquartett auf der CD zu hören ist und welches ich auf Einladung von Brouwer beim Gitarrenfestival in Havanna 1998 uraufgeführt habe. Als Herzstück unserer Zusammenarbeit empfinde ich aber den Liedzyklus „Aires de la Tierra“. Tulio schrieb diesen Zyklus für das Konzert, welches ich mit der New Yorker Mezzosopranistin Nan-Maro Babakahnian in der Carnegie Recital Hall im März 1999 gegeben habe. Es ist ein sehr persönliches Werk des erst als Sänger ausgebildeten Komponisten.
C. M.: Was ist das besondere an seiner Musik?
J. T. K.: Tulio Peramo ist ein sehr poetischer und weiser Mensch, der viel in seinem Leben erlebt hat. Ich spüre in seiner Musik, dass hier ein Suchen der am Werk ist – und deshalb fühle ich mich wohl so von seinen Klängen angezogen. Tulio gehört der jungen Komponistengeneration Kubas an, die sich wieder neu auf ihre traditionellen Wurzeln besinnt, ohne das europäische Erbe zu negieren. In seiner Musik treffen traditionelle Formen (wie Sonatensatzform z.B. im ersten Satz des 2ten Gitarrenkonzert) auf die Straßentänze und Rhythmen Kubas und vermischen sich zu neuen musikalischen Ideen. „Fiesta“, das letzte Stück des Liedzyklus, steht beispielsweise im Tango-Conga Rhythmus, der in dieser Form früher immer bei kubanischen Komödienaufführungen verwendet wurde. Für den Liedtext verwendet Tulio hier den längst vergessenen Dialekt „Bozal“, der im 18/19ten Jahrhundert von den schwarzen Sklaven in Kuba gesprochen wurde.
C. M.: Gab es einem Austausch beim Schaffensprozess, oder kennt Tulio Peramo die Gitarre so gut das er Anregungen – z.B. in Bezug auf Spielbarkeit – nicht benötigt hat?
J. T. K.: Tulio versucht mir immer zu beweisen, dass er Gitarre spielen kann, indem er mir die ersten drei Töne von “Elogio de la Danza” vorspielt!
Es ist mir um so mehr ein Rätsel, wie man so gut für Gitarre komponieren kann, ohne das Instrument spielen zu können. Wenn ich mit Komponisten zusammenarbeite, so ist es mir sehr wichtig auch Anregungen, Spieltechniken, programmatische und kompositorische Ideen miteinbringen zu dürfen. So ergibt sich ein gemeinsamer Schaffensprozess in dem beide aktiv am Entstehen des Werkes beteiligt sind.
Gerade für Komponisten, welche die Gitarre selbst nicht spielen, ist es wichtig, den Interpreten als aktiven Begleiter während der Entstehung der Komposition an seiner Seite zu wissen.
Wenn ich einen Komponisten kennen lerne, dessen Musik mich berührt, so versuche ich auch herauszuspüren, was die Stärken, die Besonderheiten und was die schwachen Seiten dieses Menschen sind. Genauso fordere ich von dem Komponisten, sich mit den Schwächen und Stärken meines Spiels auseinander zu setzen und damit gemeinsam zu etwas Neuem zu finden. Es soll ja ein Werk entstehen, mit welchem sich beide identifizieren können!
C. M.: Sind die Werke auch als Notenausgaben erschienen?
J. T. K.: Tulio Peramo´s Werke sind in dem Musikverlag meines Bruders und mir als Edition veröffentlicht und können über folgende Adresse bestellt werden:
kreuschbros@blackmudsound.com
oder per fax: 089/66009277
oder per Post
Hermann-Lönsstr. 8
85521 Ottobrunn
C. M.: Später hast Du in New York bei Sharon Isbin studiert. Was für einen Einfluss hat sie auf Dich gehabt? Gab es besondere Schwerpunkte in Ihrem Unterricht?
J. T. K.: Nach meinem Abschluss in Salzburg war mein großer Wunsch, endlich in eine neue Welt einzutauchen und so wollte ich immer schon nach New York. Besonders wichtig waren mir dabei die Möglichkeiten im Jazz und die sehr gute Ausbildungsmöglichkeiten an der Juilliard School of Music. Sharon war als Lehrerin sicher ein wichtiger Entwicklungsschritt für mich – auch wenn ich momentan eine ganz andere Herangehensweise an die Musik habe. Sie hat extrem viel Erfahrung mit neuer Musik und mit dem kammermusikalischen Arbeiten. Da gab es einiges mitzunehmen. Wichtig war sicher auch, dass die Gitarrenklasse an Juilliard sehr klein ist und man somit immer intensiv arbeiten, vorspielen und mit Studenten anderer Klassen Projekte verwirklichen musste.
C. M.: Zum Abschluss des Studiums hast Du ein Programm gespielt, welches Du später auch auf CD aufgenommen hast. Die Etüden von Heitor Villa Lobos und die “Sonata for Guitar OP.47” von Alberto Ginastera. Bei den Etüden von Villa-Lobos hast Du das Manuskript des Komponisten aus dem Jahre 1928 zu Rate gezogen. Gab es dadurch entscheidende Veränderungen in Bezug auf die Interpretation?
J. T. K.: Es ist mir ein unergründliches Rätsel, wie es sein kann, dass ein so zentrales Werk wie die Etüden von Villa-Lobos durch so lausige Notenausgaben wie alle zur Zeit existierenden Ausgaben repräsentiert wird. Wenn man die Originale in der Hand hält, dann ist dies wie eine Offenbarung. Nicht nur, dass auf einmal die ganzen Druckfehler deutlich werden (Akkorde bekommen auf einmal ganz neue Bedeutungen, Melodiebewegungen werden klarer, …) es ist auch erstaunlich zu sehen, welch´ unglaublich schöne und genaue Handschrift Villa-Lobos hatte. So eine perfekte Handschrift kann jeder lesen! Jeder Editor oder Verlagsmensch. Da gibt es keine Entschuldigung für die Fehler! Es ist auch unglaublich spannend zu sehen, dass Villa-Lobos solch´ genauen Fingersatzangaben gemacht hat, dass auch hier die musikalische Intention unterstrichen und verdeutlicht wird. Neben den kompositorischen Ergänzungen und Veränderungen zu seinen anderen Manuskripten (man denke nur an den wunderschönen Zwischenteil in der 10ten Etüde, der bei Eschig komplett fehlt) ist auch sehr eindrücklich, wie genau Villa-Lobos` mit seinen Dynamik- oder Agogik- Aufforderungen umgeht.
Die agogischen und dynamischen Hinweise, die so intensiv von Villa-Lobos verwendet werden, fehlen zu 80 Prozent in den Ausgaben. Immer wieder kommt die Aufforderung sich zurückzunehmen: “etwas langsamer”, oder “nicht zu schnell” und immer wieder macht er dadurch deutlich, dass dieses Werk kein Etüdenwerk im herkömmlichen Sinne ist, welches man in Extremgeschwindigkeit meistern muss. Es ist vielmehr Musik, welche die impressionistische Idee der damaligen Zeit beim Namen nennt und den Hörer durch seinen Klangzauber auf eine Reise in die filigrane Welt der Gitarre trägt.
Bei den Preludien von Villa-Lobos ist die Fehleranzahl in den Ausgaben übrigens nicht geringer!!!
C. M.: Lebst Du ausschließlich vom Konzertieren und dem Verkauf Deiner Tonträger oder übst Du noch andere Tätigkeiten aus?
J. T. K.: Ich lebe ausschließlich von meiner künstlerischen Tätigkeit. Neben meiner Studioarbeit und den Konzerten unterrichte ich auch sehr, sehr gerne. Seit letztem Jahr habe ich einen Lehrauftrag für Gitarre an der Musikhochschule in München, unterrichte aber auch privat und gebe meine Kurse.
C. M.: Du scheinst ja sehr viel in der Welt herum zu reisen. Gefällt Dir dieses Leben? Erlebst Du das als eine Bereicherung?
J. T. K.: Es gab eine Zeit, da war für mich das Reisen sehr wichtig. Auf der einen Seite ist es ja wirklich eine wunderbare Bereicherung, da man fremde Kulturen kennen lernen kann und spannende Menschen trifft. Aber in letzter Zeit hat sich meine Einstellung wohl ein wenig gewandelt. Durch das viele Reisen ist es schwer, bei sich zu bleiben. Man muss sich immer wieder auf extrem neue Umgebungen einstellen und ist lange weg von zu Hause. Da stellt sich schon auch die Frage, ob es das ist, was man im Leben erreichen wollte. Es gibt ja auch irgendwie einen Grund, dass man an einem bestimmten Ort geboren wurde und dort wohl auch wirken soll. So habe ich ein wenig das Reisen reduziert. Meine Reisen nach New York sind dagegen etwas anderes. Das ist wie nach Hause zu kommen. Ich habe dort zusammen mit meinem Bruder eine Wohnung, viele Freunde und eine Umgebung, die ich gut kenne.
Wie es der “Zufall” wollte, war ich leider auch am 11. September dort. Unsere Wohnung ist nur 800 Meter vom WTC entfernt und so mussten wir alles mit eigenen Augen mitansehen.
Es war eine sehr, sehr schlimme Zeit, die mir lange noch nachgehen wird. Da merkt man zum ersten Mal als Wohlstandseuropäer, was es wohl heißen muss, in einem Kriegsgebiet zu leben, wenn man sich plötzlich nicht mehr frei bewegen kann, wenn man nur mit Schutzmaske aus dem Haus kommt, wenn kein Geschäft mehr offen hat, wenn Freunde ihre Verwandten oder ihre Wohnung verlieren und Zuflucht bei einem suchen, wenn man überhaupt nicht weiß, was der nächste Tag bringen wird…
C. M.: Auf Deiner zuletzt eingespielten CD “Inspiracion” hast Du Werke eingespielt, die allesamt einen gewissen “Hit-Charakter” haben. Sind das die Stücke, die Dich ursprünglich mal für die Gitarre fasziniert haben?
J. T. K.: Es ist Musik, die ich schon immer sehr gemocht habe. Das ist auch der Grund, weshalb ich diese auf einer CD vereinen wollte!
C. M.: Die Stücke, die Du auf “Inspiracion” eingespielt hast sind von zwei Eigenkompositionen umrahmt, die einen improvisatorischen Charakter haben. Welche Rolle spielt die Improvisation für Dich?
J. T. K.: Für mich ist das Entdecken von Klängen und das improvisatorische Herangehen an die Musik immer sehr wichtig gewesen – und es wird mir auch immer wichtiger. In letzter Zeit spiele ich wieder vermehrt improvisatorische Musik. Ich habe gerade mit dem Trompeter Markus Stockhausen eine CD eingespielt, die wir jetzt auch in Konzerten vorstellen werden. Dieses Projekt liegt mir sehr am Herzen, da dies genau die Musikrichtung ist, zu der ich mich momentan hingezogen fühle!
Auch die Arbeit mit meinem Bruder Cornelius Claudio Kreusch, die mich mit vielen spannenden Improvisationskünstlern zusammengebracht hat, inspiriert und bereichert mich sehr!
C. M.: Bei Deinem neuen Projekt “2World´s1” wird die Improvisierte Musik im Vordergrund stehen. Kannst Du es ein wenig beschreiben?
J. T. K.: “2World´s1” ist ein gemeinsames Projekt zusammen mit meinem Bruder. Es will die beiden Welten, in denen wir leben – Klassik und Jazz/ Komponierte- und Improvisierte Musik – zu einer vereinen. Die Aufnahmen sind in New York entstanden (gerade in der Zeit um den 11.September). Es werden spannende Musiker auf der CD zu hören sein… wer verrate ich noch nicht!!! Ab Herbst 2002 werden wir in Deutschland auf Tour sein. Infos gibt´s über: www.blackmudsound.com.
CDs von Johannes Tonio Kreusch: