Frage:
Ich bereite mich auf die Aufnahmeprüfung an verschiedenen Musikhochschulen vor. Ist es besser wenn ich die Stücke dort auswendig vorspiele? Wie kann ich das üben?
Antwort:
Ich selbst bin der Meinung, dass auswendig Spielen gewisse Vorteile hat, der optische Reiz beim Ablesen der Noten fällt weg, so dass die volle Konzentration auf die Musik und spieltechnischen Abläufe gerichtet werden kann. Zudem kann man sich so noch besser beim Spielen zuhören.
Es gibt aber auch eine Reihe hervorragender Gitarrist*innen, die fast nur vom Notenblatt spielen, um Gedächtnislücken zu vermeiden. Selbstverständlich haben diese Spieler*innen die Werke die sie vortragen auch schon sehr gut verinnerlicht. Sie lesen dann beim Spielen nicht mehr jede einzelne Note ab, sondern erkennen bestimmte Teile, Muster, Stichnoten oder bekommen sonstige Anhaltspunkte durch das Notenblatt.
Letztlich muss jede*r selbst erproben, ob sie/er gut auswendig vorspielen kann, bzw. ob ihr/ihm das auswendig Spielen dabei hilft, den musikalischen Ausdruck zu steigern. Wenn die Angst vor Gedächtnislücken zu groß ist, sollte man keinen falschen Ehrgeiz haben. Es ist überhaupt nicht förderlich, wenn der auswendige Vortrag zum Unsicherheitsfaktor wird.
Zum Üben bieten sich für das auswendig Spielen besonders mentale Übemethoden an. Man sollte aber auch immer wieder den umgekehrten Weg gehen und die Stücke rein motorisch spielen, ohne dabei in irgend einer Form zu denken.
“Spiele ein Stück ohne Gitarre durch. Dann spiele ein Stück auf der Gitarre ohne dabei zu denken, so dass es eine rein taktile körperliche Erinnerung ist. Danach übe rein visuell, indem du auf die Noten schaust und dir dabei die musikalischen Zusammenhänge vergegenwärtigst, sodass alle deine Sinne, das visuelle, auditive und taktile Gedächtnis immer sowohl unabhängig voneinander sind, als auch in einander greifen.” – Pepe Romero, GitarreHamburg.de, November 2002.
Wie schon angemerkt, muss also jede*r seine individuelle Entscheidung treffen. Diese sollte sehr rechtzeitig getroffen werden, denn zu späte Entscheidungen können sich in beiden Fällen ungünstig auswirken.
Entscheidet man sich z.B. erst kurz vor der Prüfung oder dem Konzert, dass man doch auswendig spielt, ist das Risiko in der erhöhten Stresssituation Gedächtnislücken zu haben relativ hoch. Beschließt man kurz vor dem Konzert doch die Noten zu benutzen obwohl man vorher auswendig gespielt hat, kann der ungewohnte Anblick des Notenblatts mehr Verwirrung stiften als Orientierung bieten.
Aus diesen Gründen sollte das auswendige Vorspielen auch schrittweise geübt werden. Erste Gehversuche sollte man im kleinen Kreise vor Freund*innen, Bekannten, Verwandten usw. machen, um sich später auch an wichtige Auftritte heranzutasten.