Was erwartet man von einem klassischen Gitarristen, der von der internationalen Presse einhellig gefeiert wird und in den letzen Jahren eine Reihe exzellenter Einspielungen mit Kompositionen von Villa-Lobos, Ginastera, Bach, Peramo u.a. vorgelegt hat? Nur all zu gern lassen sich Kritiker*innen und Fangemeinde mit dem bedienen, was ihren Hörgewohnheiten entspricht und was dem Image verpflichtet ist, in das ein*e Musiker*in insgeheim gepresst wurde. Mit “panta rhei” entzieht sich Johannes Tonio Kreusch erfrischenderweise jedweder Erwartungshaltung und macht die Musik, die ihm besonders am Herzen liegt, seine eigene.
Schon die auf “panta rhei” verwendeten Instrumente lassen ein eindeutiges Wegordnen in eine bestimmte stilistische Schublade nicht zu. Kreusch verwendet auf dieser CD neben seinem klassischen Instrument auch eine Stahlsaitengitarre und ein zwölfsaitiges Instrument. Dem Interpreten eröffnet sich so eine ganz neue Klangvielfalt, die er meisterhaft zu nutzen weiß. Mit Markus Stockhausen hat Kreusch zudem einen kongenialen Musizierpartner an seiner Seite, der dieses Klangspektrum mit Trompete, Piccolotrompete und Flügelhorn virtuos zu ergänzen weiß.
Der dem griechischen Philosophen Heraklit ( ca. 550-480 v. Chr.) zugeschrieben Ausspruch “panta rhei” (alles fließt) steht für das ewige Werden und Vergehen in der Welt. Alles beharrende Sein beruht demnach auf Täuschung. Sinnbild hierfür ist der Fluss, dessen Wasser ständig wechselt und der für den Betrachter doch immer derselbe bleibt. Nach Heraklit ist die Welt der Schauplatz eines ewigen Kampfes gegensätzlicher Prinzipien, die einander im Gleichgewicht halten und aus deren Spannung die Harmonie entsteht.
Als zwei gegensätzliche Prinzipien könnte man auch die auf diesem Tonträger zum Einsatz kommenden Instrumente ansehen. Hier das dem menschlichen Atem gehorchende Melodieinstrument, dort das zu räumlichen Klanggebilden fähige Saiteninstrument, dessen kunstvoller Bedienung es eher taktilen Feingefühls bedarf. Auf der einen Seite Johannes Tonio Kreusch, der mit seinem Instrument weite Klangräume erzeugt, auf der anderen Markus Stockhausen, der diese mit melodischem Erfindungsreichtum und hoher Expressivität zu füllen weiß. Aus diesem scheinbaren Gegensatz heraus entwickeln sich ungemein spannungsreiche Dialoge, in denen beide Musiker ihre instrumentenspezifischen Rollen immer wieder verlassen oder gar tauschen.
Selbstverständlich steht “panta rhei” aber auch für den fließenden Charakter, der den 12 Kompositionen dieser CD zugrunde liegt. Die Kompositionen von Johannes Tonio Kreusch, Markus Stockhausen und dem renommierten Jazzpianisten Cornelius Claudio Kreusch sind wunderbar affektenreiche Klangemälde, bestimmt von dichten Momenten voller Ruhe und Intimität, die weiten Raum zur Improvisation lassen.
Auch wenn es sich bei “panta rhei” um keine CD mit treibenden Beats handelt, das rhythmische Element kommt nicht zu kurz. Besonders Titel wie “En Route”, “Highlands” oder “Tender”, in denen Kreusch ostinate Figuren übereinander schichtet, verfügen über einen pulsierenden Groove. Alle Titel, die man auf der CD zu hören bekommt, sind so auch auf der Bühne realisierbar, denn es handelt sich hierbei nicht um nacheinander eingespielte Overdubs, sondern um in einen Sequenzers eingespielte Loops. Der ohnehin schon faszinierenden Klangvielfalt fügt Kreusch dabei durch die Präparierung seines Instruments weitere Facetten und eine Fülle percussiver Effekte hinzu. In manchem Moment fühlt man sich an die Minimalmusic eines Steve Reich erinnert. Bei analytischem Hinhören kann man sich aber auch davon überzeugen, dass selbst sehr ruhig und frei interpretiert wirkende Stücke über einen immer präsenten metrischen Puls verfügen. Alle Agogik führt hier nicht zu einem beliebigen Rubato, sondern verstärkt den Spannungsreichtum des Vortrags.
“panta rhei” ist ein sehr spannendes Projekt, mit dem Johannes Tonio Kreusch seinen Ruf als kompetenter und experimentierfreudiger Grenzgänger zwischen den Stilen untermauert und mit dem er eine weitere Liebeserklärung an das schönste und „vielsaitigste“ aller Musikinstrumente vorlegt. Auch Fingerstyler können sich davon überzeugen, Johannes Tonio Kreusch bedient eine Lakewood genauso kunstvoll wie sein klassisches Meisterinstrument.
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