Erst im Alter von achtzehn Jahren – zuvor hatte sie seit dem vierten Lebensjahr eine musikalische Ausbildung am Klavier genossen – entdeckte Heike Matthiesen die Gitarre für sich. Schon ein Jahr später nahm sie ihre Ausbildung an der Hochschule für Musik in Frankfurt am Main bei Thomas Bittermann auf. Ihrer Künstlerischen Reifeprüfung im Jahre 1993 schlossen sich Studien bei Pepe Romero sowie zahlreiche Meisterkurse bei namhaften Gitarristen wie Leo Brouwer, Manuel Barrueco, David Russel, Alvaro Pierri oder Roland Dyens an. Dass es kein Hindernis sein muss, erst so spät das Instrument seines Herzens zu entdecken, dafür ist Matthiesens schon im Jahre 2001 erschienene CD „Tristemussette“ ein nachdrücklicher Beleg. Ihr – nach der CD “Sol y luna” – zweiter Tonträger ist ganz dem herausragenden Komponisten und Gitarristen Roland Dyens gewidmet. Eine exzellente Wahl hat Matthiesen da getroffen, denn Dyens große Kenntnis um die speziellen Idiomatik des Instruments und sein schier unerschöpflicher kompositorischer Ideenreichtum haben eine beachtliche Liste an ausnahmslos durch und durch gitarristischen Kompositionen für die Gitarre hervorgebracht.
Es ist der 17. Juli 1996, an dem ein TWA-Jumbo vom New Yorker JFK Airport mit dem Ziel Paris abhebt und kurz nach dem Start explodiert. Alle 230 Insassen kommen bei diesem Unglück ums Leben. Unter den Passagieren befand sich auch Marcel Dadi, einer der führenden französischen Fingerstylegitarristen. Das titelgebende Eingangsstück dieser CD „Tristemusette“ ist eines von zwei Stücken, das Dyens als Hommage an Dadi einige Tage nach dem tragischen Unfall geschrieben hat. Er, der ein großer Verehrer Dadis ist, befand sich zu diesem Zeitpunkt geradezu in einem Schockzustand. Man könnte also erwarten, dass die musikalische Würdigung Marcel Dadis getragen und schmerzvoll klingen würde. Wahrscheinlich ganz im Sinne Dadis, hat Dyens aber mit dem Walzer eine von dessen Lieblingsgattungen gewählt, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. “Tristemusette” ist ein zauberhaftes Stück, das zwischen venezolanischer Leichtigkeit und der Melancholie der französischen Musette schwankt. Matthiesen spielt schwungvoll und federnd, schafft es aber, die ständig präsente Wehmut auf subtile Weise durchscheinen zu lassen.
Nach den Titeln “Citrons doux” und “Valse en skaï” darf selbstverständlich auch ein virtuoser Hit wie der “Tango en skaï“ auf einer derartigen Porträt-CD nicht fehlen, hat Dyens doch gerade dieser – der Legende nach auf einer Party improvisierten und später schriftlich fixierten – musikalischen Humoreske einen großen Teil seiner Bekanntheit zu verdanken. Hierbei legt Matthiesen mehr Wert darauf, die musikalischen Vorgaben des Komponisten geschmackvoll umzusetzen als mit übermäßig hohem Tempo beeindrucken zu wollen.
Neben den bekannten Werken “Troies Pieces Polyglottes”, “Libra Sonatina” und “Songe Capricorne” hat sich Matthiesen mit Hingabe auch einigen musikalischen Kleinoden aus Dyens Oeuvre gewidmet, die seltener in den Programmen von Konzertgitarrist*innen zu finden sind. Echte Highlights darunter sind insbesondere das Heike Matthiesen gewidmete und mit innig warmen, äußert sinnlichem Ton dargebotene “Vénézuelettre” (aus dem Zyklus “20 lettres pour guitarre solo”) sowie die kunstvollen Bearbeitungen der drei französischen Chancons “Revoir Paris” (Charles Trenet), “Syracuse” (Henri Salvador) und “Un jour tu verras” (Georges van Parys). Hier glänzt Matthiesen einmal mehr mit melodischer Gestaltung vom allerfeinsten.
Ein beeindruckendes und stimmungsvolles Porträt eines der unbestreitbar wichtigsten zeitgenössischen Gitarrenkomponisten, mit technischer Souveränität und musikalischem Fascettenreichtum interpretiert.
Weitere Informationen:
http://www.heikematthiesen.de/