Frage:
Was bringen mir Kenntnisse in der Musiktheorie? Ich möchte doch nur Gitarre spielen und nicht Musikwissenschaftler werden.
Antwort:
Viele, die das Spiel auf einem Musikinstrument erlernen – nicht nur Gitarrist*innen -, stellen sich diese Frage. Natürlich sollte am Anfang das Gitarrespielen absolut im Vordergrund stehen. Nebenher erlernt man mit dem Notenlesen die elementarsten Bausteine der Musiktheorie. Und genauso, wie man danach auf den erlernten Grundfertigkeiten aufbaut und Schritt für Schritt seine spieltechnischen Fähigkeiten erweitert, sollte man sein theoretisches Wissen erweitern. Dies kann für das Spielen in vielfältiger Weise nützlich sein und auch andere musikalische Tätigkeitsfelder eröffnen.
Stücke lassen sich leichter erfassen, wenn man die musikalischen Zusammenhänge versteht. Eine Stelle prägt sich z.B. gut ein, wenn man hinter den Noten eine bestimmte typische Akkordfolge (z.B. eine II – IV – V – I – Kadenz) wiedererkennt. Das gilt auch für Läufe und Melodien, wenn man das Skalenmaterial bzw. die Tonleiter erkennt, die ihnen zu Grunde liegt. Das erleichtert natürlich auch das spontane “vom Blatt” Spielen. Man muss nicht mehr jede Note einzeln erfassen sondern erkennt auf Anhieb ganze Akkorde bzw. Akkordfolgen und Tonleitern.
Auch Kenntnisse in der Formenlehre sind hilfreich. Wenn man den formalen Aufbau eines Suitensatzes, Sonatenhauptsatzes oder einer Liedform kennt, kann das z.B. beim Auswendigspiel sehr hilfreich sein. Auch auf die musikalische Gestaltung hat es natürlich einen Einfluss, wenn man ein Stück in formale Abschnitte gliedern kann. Für die Interpretation sind Kenntnisse in der Harmonielehre von Nutzen. Einen Quartsext-Akkord kann man z.B. nur dann bewusst artikulieren, wenn man ihn im Notentext auch erkennt.
Für die Improvisation im Jazz, Rock usw. sind theoretische Kenntnisse eine echte Vorraussetzung, um ein gutes Solo spielen zu können. Anfangs reichen ein paar Pentatonikscales vielleicht noch aus. Wenn man aber mehr will und auch über kompliziertere Voicings (Akkordfolgen) improvisieren will, kommt man um eine Auseinandersetzung mit Akkordskalen-Theorie nicht herum.
Auch die Möglichkeit des Harmonisierens und Arrangierens wird durch die musiktheoretischen Kenntnisse eröffnet. Oft findet man z.B. Lieder mit einer Melodie, der aber keine Akkordsymbole zugeordnet sind. Diese kann man dann selbst hinzufügen. Will man Stücke, die im Original für andere Instrumente geschrieben wurden, auf die Gitarre übertragen, geht das selten, ohne das Stück in eine gitarrentypische Tonart zu transponieren. Oft sind bestimmte Dinge fingertechnisch gar nicht umzusetzen. Hier muss man wissen, was man weglassen kann, ohne den musikalischen Inhalt zu zerstören.
Musiktheorie ist also wirklich für viele musikalische Bereiche nützlich und man sollte sich neben dem Instrumentalspiel auch darin weiterentwickeln. Natürlich muss man dabei nicht gleich Musikwissenschaftler*in werden. Der Saxophonist Charlie Parker hat diesbezüglich einmal etwas sehr Richtiges gesagt, das ich hier frei zitieren möchte: “Lerne alles, was du nur kannst – wenn Du spielst, dann vergesse alles wieder.”