“Allen Berichten zufolge hat Giulio Regondi eine Jugend durchlebt, die aus einem Roman von Charles Dickens stammen könnte”. Treffender als Richard M. Long es im Booklet der vorliegenden CD schreibt, kann es kaum formuliert werden. Giulio Regondis (1822-1872) Mutter soll schon bei seiner Geburt (in Genf oder Genua) gestorben sein, so dass er bei seinem Vater aufwuchs. Dieser hatte schon früh beschlossen aus Giulio ein Wunderkind zu machen, was ihn mit unerbittlichem Drill gelang. Der kleine Giulio wurde tagsüber in sein Zimmer eingeschlossen und musste – überwacht von der Nachbarin – stundenlang üben. Sein erster Kontakt mit der Öffentlichkeit soll ein Konzert gewesen sein, bei dem er das Publikum nicht nur aufgrund seines Alters – Regondi soll zu diesem Zeitpunkt sieben Jahre alt gewesen sein – verblüffte.
Das Wunderkind sorgte seitdem in Europa für Furore. Dass er schon früh eine hohe Anerkennung genoss zeigt u.a., dass Sor 1831 dem damals neunjährigen Regondi seine Fantasie Op.46, “Souvenir d’amitié“ widmete.
1835 machte sich sein angeblicher Vater mit den gesamten Konzerteinnahmen aus dem Staub, nachdem er seinem Sohn eine Fünf-Pfund-Note überreicht hatte.
Trotz des frühen Ruhmes und der schwierigen Kindheit entwickelte sich aus dem Wunderkind ein ernsthafter Musiker und Komponist. Seine Werke sind von einem durch und durch romantischen Kompositionsstil geprägt, der durch gewagte harmonische Fortschreitungen und Akkordkaskaden, eine gesangliche Melodik mit Seufzer-Motiven, rasanten chromatischen Läufen und einem großen Ambitus sowie die insgesamt virtuose Anlage geprägt ist. Dennoch geriet Regondis Werk lange in Vergessenheit.
In den 80er Jahren wurde die kompositorische Hinterlassenschaft Giulio Regondis wiederentdeckt und ist seitdem fester Bestandteil des romantischen Gitarrenrepertoires. Leider ist nur ein sehr kleiner Teil seiner Werke überliefert worden, so dass die Veröffentlichung von zehn Etüden (Edition Ophée, 1990) die aus Regondis Feder stammen sollen, einer kleinen Sensation gleich kam. Bisher wurde diesen allerdings nicht dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt wie Regondis übrigen Werken. Dies mag auch an der ungeklärten Herkunft der Etüden liegen. Ein Autograph liegt nicht vor und die Etüden wurden zudem in Russland entdeckt, wo sich Regondi nie aufgehalten hat. Auch dass die Etüden unter dem Namen Regondis erschienen sind, gibt, aufgrund der freien Handhabung zu dieser Zeit, keine Garantie für seine Urheberschaft. Darüber hinaus könnte auch der Vater Regondis der Komponist dieses Etüdenzyklus gewesen sein.
Trotz der ungeklärten Urheberschaft stellen die Etüden aber eine echte Bereicherung der Gitarrenliteratur dar und so ist die nun vorliegende Ersteinspielung von John Holmquist, der auch schon als Herausgeber der Notenausgabe fungierte, sehr zu begrüßen.
Dass die Auseinandersetzung mit den Etüden Regondis sehr intensiv war, ist deutlich herauszuhören. Das Spiel Holmquists lebt von der intellektuellen Durchdringung der Musik und einer angenehmen Zurückhaltung der eigenen Person. Der Interpret stellt sich ganz in den Dienst der Musik und meistert auch die anspruchsvollsten Passagen technisch und musikalisch tadellos.
Neben den 10 Etüden – die allein 42 Minuten der gesamten Einspielung umfassen – gibt es noch die etwas bekannteren Werke “Introduction et Caprice” sowie “Fète Villageoise: Rondo Caprice” zu hören. Auch hierbei erweist sich Holmquist als feinfühliger und technisch brillanter Musiker.
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