Was tun, wenn man den Klang der Gitarre liebt, sich aber besonders für die Klavier- und Orgelmusik des Barock und der Frühklassik begeistert? Wenn das Instrument die komplexe musikalische Textur nicht mehr darzustellen vermag? Der ukrainische Gitarrist Alexander Vynograd hat seine ganz eigene Antwort auf diese Frage gefunden. Vynograd entwickelte eine spezielle 8-saitige Gitarre, um die von ihm geliebten Klavier- und Orgelwerke möglichst originalgetreu wiedergeben zu können. Als sich nun die Möglichkeiten der Greifhand als zu begrenzt erwiesen, um alle musikalische Linien darzustellen, begann der in München lebende Gitarrist, die Basssaiten seines Instruments mit dem Kinn zu greifen. Diese “Kinntechnik” hat er mittlerweile in einem Maße verfeinert, dass es ihm möglich ist, ganze Tonleitern mit dem Kinn zu spielen oder die Basssaiten damit abzudämpfen.
Auf den ersten Blick mag dies alles ein wenig kurios erscheinen, auf den zweiten entpuppen sich Alexander Vynograds Neuerungen aber als sehr ernst zu nehmende Versuche, die Gitarristik weiter zu entwickeln. Es ist das musikalische Ergebnis, welches für Vynograd spricht. Auf seiner nun vorliegenden Debut-CD erweist sich Vynograd nicht nur als reines Koordinationswunder, der mit brillanter Spieltechnik und atemberaubender Virtuosität seine Hörer verblüfft. Vielmehr überzeugt er durch seine erlesene und geschmackvolle Interpretationsweise, einem transparentem Klangbild, delikaten Artikulationen und Verzierungen und einer so sauber herausgearbeiteten Stimmführung, wie man sie auf einer Gitarre selten zu hören bekommt.
Hier werden auch die Vorzüge des Instruments deutlich, das im Tonumfang sowohl nach oben, als auch nach unten erweitert wurde. Es verfügt über einen sonoren gravitätische Bass, einen strahlenden Diskant und ausgewogene Mitten, mit deren Hilfe Vynograd alle musikalischen Strukturen freilegt.
Die CD entstand in Koproduktion mit dem Bayrischen Rundfunk und enthält Werke von J.S. Bach, C.P.E. Bach, Chambonnieres, Clementi, Dandrieu, Daquin, Haydn und Purcell. Alle Bearbeitungen wurden von dem Gitarristen selbst angefertigt.
Sicher ist nicht anzunehmen, dass sich die Gitarristik in Zukunft kollektiv für die 8-saitige Vynograd-Gitarre entscheidet und das Spielen mit der Kinntechnik übt. Ein wenig neidisch darf man aber schon nach München schauen, denn solch ein Repertoire lässt sich auf einem herkömmlichen Instrument nicht mit einem derart überzeugenden musikalischen Ergebnis wiedergeben.
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